Plausch mit Frau Nettesheim – Jaja, neinnein

trithemius & Frau Nettesheim
Trithemius

Ich könnte Sie küssen, Helene, wenn Sie es nicht wären, Frau Nettesheim.

Frau Nettesheim

Hihi, da bin ich ja noch einmal davon gekommen. Woher kommt der ungewohnte Überschwang?

Trithemius

Keine Ahnung. Oder doch: Ich freue ich mich, dass ich endlich begonnen habe, die kleinen Geschichten zu schreiben, die in meinen Karteikarten schlummern.

Frau Nettesheim

Einiges kommt mir bekannt vor.

Trithemius

Ihnen entgeht nichts, Verehrteste. Möglicherweise steht was in einem der Nachtschwärmer. Genau weiß ich es nicht, denn ich habe den Überblick über die Texte im Lager verloren. Dann gibt es einige Szenen im Krimimanuskript, die auf meine Erlebnisse in Kirchspiel zurückgehen. Sie sind allerdings literarisch verfremdet.

Frau Nettesheim

Es steht im 6. Kapitel ihres Fragmentes „Die letzte Freinacht“. Und eine Szene der zweiten Lesenacht spielt in der Bücherei, in der Sie damals Ihr Klappbett aufgestellt hatten.

Trithemius

Tatsächlich? Jedenfalls bin ich froh, dass ich die Dinge jetzt gelten lassen kann, wie sie waren. Wissen Sie, was mich an den Leuten von Kirchspiel am meisten fasziniert hat?

Frau Nettesheim

Die Bodenständigkeit?

Trithemius

Ja, und die darin wurzelnde innere Gewissheit, was ihnen wiederum ein klares Wertesystem gibt. Man kann glatt neidisch werden auf diese intuitive Weise, in der Welt zu sein.

Frau Nettesheim

Da spricht der Zweifler. Nach Locke gründet zwar alle Erkenntnis auf Erfahrung, aber alle Gewissheit auf Intuition. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Intuition einen höheren Wahrheitsanspruch hätte als die Erkenntnis.

Trithemius

Meine Rede, Frau Nettesheim. Intuition ist kein Wissen um objektive Wahrheit, sondern schlicht eine systembedingte Funktion unseres Gehirns, mit der wir mangelnde Erkenntnis ausgleichen. Doch umgekehrt wird auch ein Schuh draus. Der Erkenntnis sind Grenzen gesetzt. Deshalb suche ich ja den Mittelweg.

Frau Nettesheim

Meistens tappen Sie links oder rechts in den Straßengraben.

Trithemius

Bin ich vielleicht ein Automat, der auf Schienen läuft? Suche stets nach der Wahrheit, doch misstraue allen, die behaupten, sie gefunden zu haben. Sehen Sie, an so einem sonnigen Morgen, scheint die Welt ganz wunderbar. Doch es liegt nur an Ihrer Anwesenheit und an der Weise, wie ich just in den Tag hineinschaue. Wäre das Leben immerzu Sonnenschein, würde man verblöden, denn man würde aufhören, Fragen zu stellen und neue Wege zu gehen. Deshalb ist’s gut, wenn das Leben einem mal Ja, mal Nein entgegensetzt.

Frau Nettesheim

Ja: Sie haben Recht. Nein: Genug geplaudert, machen Sie sich an die Arbeit.

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