Teestunde im Teppichhaus (4) – Beachte den Strohwisch

Teestunde im Teppichhaus02Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen gegen 17 Uhr unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, – ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute gehts um Territorialzeichen.

Taggen ist wie Bein hebenDas Territorialzeichen entzieht ein Gebiet der willkürlichen Nutzung durch Unbefugte. Ihre ursprüngliche und unmittelbare Erscheinungsform ist der Duft. Höhere Formen wie etwa Grenzsteine wirken nur mittelbar, da sie Erfahrung, Kenntnisse oder ein gewisses Maß an Vereinbarung voraussetzen. Territorialzeichen können bildhaft, gegenständlich oder schriftlich fixiert sein.

Hallo Hund, namens Joe oder so,
Der Gehweg ist kein Hundeklo.
Vielleicht sagst Du das auch
Deinem Herrchen oder Frauchen!

(Zettel am Zaun eines Hauses in Aachen)

Die Mahnung an den Hund spielt mit verschiedenen Zeichenebenen. Wo der Hund seine Duftmarke abgesetzt hat, erwidert der Mensch mit den Mitteln der Poesie. Tatsächlich berühren sich die beiden Kommunikationsebenen jedoch nicht, denn hier ist ein Mittler nötig „Herrchen oder Frauchen“ und der wird ja allein auf der Ebene der Buchstabenschrift angesprochen, hier aber nur indirekt und unverbindlich. Zwingend erfolgreich wäre nur, wenn der Besitzer des Vorgartens eine eigene abschreckende Duftmarke gesetzt hätte.

In der Eifel hat sich bis in die heutige Zeit ein schriftloses Territorialzeichen erhalten, der Strohwisch am Weidenpfahl. Mit einem Strohbüschel am Weidenzaun untersagt der Bauer das Durchziehen einer Schafherde. „Früher gab’s kaum Strohwische auf meinem Weg. Die alten Bauern hatten alle Verständnis für unsereins“, klagt ein Schäfermeister in einer Reportage der Aachener Nachrichten vom 15.3.1995. Die jungen Landwirte würden den Schafen nicht einmal mehr das bisschen Gras gönnen, das sie während ihres Zugs fressen. „Leider nimmt diese Form des Futterneids immer mehr zu.“

Den Ethnologen wird der wieder belebte Gebrauch dieses gegenständlichen Territorialzeichens freuen, die Sympathie aber gehört den Eifelschäfern und nicht den futterneidischen Wiesenbesitzern, die einen Strohwisch winden, gegen den es keine Widerrede gibt. Denn der Gebrauch des Strohwischs ist unwirsch und zeigt unverholen an, dass der Eigentümer über das Verbot keine Worte zu wechseln bereit ist. Es scheint, als würde auf diese Weise eine höhere Verbindlichkeit erzielt als mit einem schriftsprachlichen Verbot, weil sie eine archaische Zeit vergegenwärtigt, in der unerbittliche Regeln galten.

Das seltsame Gegenstück einer Territorialmarke fand ich bei einer Wanderung in der Nordeifel an mehreren Bäumen und Strommasten angebracht. Auf Computerausdrucken in Klarsichtfolien stand der Text:

„Vorsicht Gift!
gehen Sie mit ihrem Hund
einen anderen Weg!
Dieses Gift ist tödlich!“

Die Zettel trugen weder Unterschrift noch Herkunftsnachweis. Was hatte es damit auf sich? In der Nähe befand sich auf einer Wiese eine große Schafherde mit vielen neugeborenen Lämmern. In einem Gatter nebenan lagerten Mutterschafe, die gerade erst abgelammt hatten. Dem Schäfer stand zur Bewachung nur ein Hund zur Seite. Vermutlich hatte er diese Zettel aufgehängt, um seine Herde weiträumig gegen freilaufende fremde Hunde abzuschirmen. Interessant ist, dass der Schäfer der Alphabetschrift nur eine geringe Appellkraft zutraute, so dass er eine zuverlässige Wirkung nur durch übertriebene Drohungen zu erreichen glaubte. Dieses mangelnde Vertrauen in die Geltung der Alphabetschrift empfindet vielleicht derjenige besonders stark, der sich im Alltag meist anderer Kommunikationsformen bedient. Der Strohwisch symbolisiert die autoritative Kraft des Eigentümers, ohne dass er sich als Person oder gar namentlich legitimieren müsste. Die gleiche Wirkung ist schriftlich nur mit größerem Aufwand zu erzielen.

Auch die Tags im Straßenbild der Großstädte können Territorialzeichen sein. Sie kennzeichnen dann das Gebiet einer Gang und haben hohe Verbindlichkeit, der gegebenenfalls durch Schusswaffengebrauch Nachdruck verliehen wird.

von amts wegen entfernt
Dieser Zettel aus dem Jahr 1989, der sich unter den Scheibenwischern mehrerer Autos fand, gewinnt seinen Nachdruck nicht durch den Namen eckmann, sondern gerade aus der Vertuschung des Subjektiven durch die Verwendung von unpersönlicher Computerschrift und durch den Hinweis „von amts wegen“.

In einem niederländischen Einfamilienhaus fand ich einmal neben den Ehebetten zwei prachtvolle Bettvorleger, in die die Namen „Jolanda“ und „Rob“ eingewirkt waren. Das linke Bett gehörte Jolanda, das rechte Rob. Oberflächlich betrachtet handelt es sich hier um Eigentumsmarken. Wenn jedoch einmal eines Morgens ein fremder Mann neben Jolanda aufwacht, die Füße auf den Bettvorleger stellt und wenn ihn dann die plötzliche Einsicht mit erschreckender Wucht befällt, „O Gott, ich bin ja gar nicht Rob!“ dann wird klar, dass auch solche Bettvorleger eindeutig Territorialzeichen sind.

5. Teestunde

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