Abendbummel online – Übers Wetter und so

Dass es heute regnet, hätte ich gestern im Wetterbericht der ARD erfahren können. Als jedoch Claudia Kleinert anhob zu sprechen, habe ich ihr den Ton abgeschaltet. So konnte ich mich besser auf ihre Gestik konzentrieren. Wie nennt man eigentlich die Leute, die anderen sagen, wie sie sich zu bewegen haben? Dompteure, Formalausbilder? Jedenfalls hat jemand Claudia Kleinert Bewegungsvorschriften eingetrichtert. Ihre Gesten folgen einer seltsamen Choreographie, die es sich lohnte, in ihren verschiedenen Phasen festzuhalten und genauer zu betrachten. Denn die Art und Weise, wie man sich in bestimmten Funktions- oder Positionsrollen angemessen zu geben hat, spiegelt wie die Verbalsprache den Zeitgeist.

Warum darf Claudia Kleinert sich nicht bewegen, wie sie gerade lustig ist? Die ungeschulte und unverfälschte Gestik des Alltags, das aus dem Stand, aus der Hand, würde nur zu einer freien mündlichen Äußerung passen. Eine ARD-Wettermoderatorin erzählt nicht aus sich heraus, sondern liest im Fernsehstudio einen vorgeschriebenen Text vom Teleprompter ab. Also müssen sich ihre Gesten den Erfordernissen des Textes und der TV-Regie und der vorherrschenden Ansicht von Manierlichkeit anpassen. Gleichzeitig soll Claudia Kleinerts gestische Kunstsprache auch noch natürlich wirken, was sich beinahe gegenseitig ausschließt. So bewegen sich ihre Arme wie am Gängelband. Hier haben es männlichen Kollegen einfacher. Von ihnen erwartet man nichts Apartes oder Geziertes. Sven Plöger und besonders Jörg Kachelmann rudern mit den Armen und fuchteln manchmal nur irgendwo vor imaginären Computer-Grafiken herum. Ganz offenbar sind die Verhaltensvorschriften für Frauen im TV und im öffentlichen Leben generell viel strenger als die für Männer. Das wage ich einmal zu behaupten, ohne es genauer untersucht zu haben.

Künstliche Gesten altern rasch und werden meist von den nachfolgenden Generationen als ulkig empfunden. Das ist die Substanz des Vergnügens in den beliebten Retroshow. Veraltete Kunstgesten der Gegenwart habe ich gestern beobachten können. Auf NDR 3 lief eine volkstümliche Musiksendung. Natürlich musste ich den Ton wegschalten, schon wegen der akustischen Hygiene. Eine Volksmusiksendung ohne Ton ist die reinste Freude. Der ungetrübte Blick enthüllt die vollends schrammelige Komik dieser verlogenen Inszenierungen des Wahnsinns.

Es regnet und früh bricht der Abend herein – das liegt, im Vertrauen, am Herbst. Wenn die Oktobersonne nicht mehr verlockt, beginnen für mich die anregendsten Wochen, denn nun kann ich mit gutem Gewissen in der Wohnstube sitzen und allerlei lesen, machen und tun. Da trifft es sich gut, dass das Teppichhaus bald zwei Jahre besteht. Aus diesem Anlass findet am 9. November die 3. interaktive Online-Lesenacht statt, zu der ich herzlich einlade. Doch bitte nicht den Ton wegschalten, denn aus Wien fliegt die sphärische Musik von Martin Kratochwil heran. Wir besuchen das imaginäre Pataphysische Institut der Technischen Hochschule Aachen. Die RWTH ist übrigens seit kurzem Eliteuniversität. So können sich alle Teilnehmer der nächtlichen Exkursion zum Pataphysischen Institut quasi über Nacht zur Elite zählen. Um zierliches Benehmen wird gebeten.

Herzliche Einladung zur Nachtführung durch das Pataphysische Institut
Einladung-zur-Lesenacht-02

Musik: Martin Kratochwil

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