Vor vielen Sommern habe ich hier gesessen und in einem Buch gelesen, das die Interpunktion des Heinrich von Kleist behandelte. Dabei hatte ich den begründeten Verdacht, dass mich in meinem ganzen Leben niemand außer meinem Professor fragen würde, ob Kleist beim Setzen der Kommata eigene Regeln befolgte, oder ob er sie mutwillig mit dem Pfefferstreuer über seine Texte verteilt hat. Allerdings sitzt man im Sommer an der Buchenallee gut, denn sie führt an der nordöstlichen Flanke des Lousbergs vorbei. Man hat einen hübschen Blick über das besonnte Tal der Soers, und die ausladenden Buchen bieten Schatten und Kühle. Ein Buchenstamm fühlt sich übrigens immer kühl an, die Eiche dagegen ist stets warm, der borkigen Rinde wegen. Ich würde weiter oben gern eine der hohen Buchen anfassen, doch ich traue mich nicht, weil so viele Spaziergänger den Berg hinauf streben.
Wo die Buchenallee eine spitze Kehre macht, liegt voraus ein halbrunder Aussichtsplatz. Einige Paare genießen den schönen Blick über den westlichen Teil der Stadt und auf die Niederlande am Horizont. Eine kleine rundliche Frau und ein hagerer großer Mann ignorieren die Aussicht, sondern stehen sich im kurzen Abstand gegenüber. Sie hat die Hände auf dem Rücken. Die beiden singen sich an, es tönt wie ein dänisches Volkslied. Dass man sie verwundert betrachtet, kümmert sie offenbar nicht, denn sie sind ganz bei sich und in ihrer gesanglichen Zweisamkeit. Eine ganze Weile noch habe ich ihr Lied im Ohr und denke, dass ihr einhelliges Duett mir vorkam wie sanfte Sexualität des Alters.
Gleich haben wir das Plateau erreicht, und dann rollen wir in einer großen ovalen Schleife einmal um den Drehturm, aus dem die Stadt einst mit Wasser versorgt wurde. Inzwischen ist er mehrmals umgebaut worden, hat ein Café am Fuß und eines hoch oben, das sich langsame um seine Achse dreht.
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