Abendbummel online – Fremde Töne im Nieselregen

Prüggenböhlnfüßmüsike

Du bummelst eine Allee entlang. Der Regen fällt dünn und trifft nicht Waldboden, nicht Weg, nicht dich, weil ein böiger Wind ihn vorher verweht. Du ziehst achtsam deine Jacke zu und siehst, wie auch Pappeln und anderes Gehölz sich vor den Windstößen verneigen. Von weither radelt ein Mann heran. Er schaut stumm auf den Vorderreifen. „Friesenkopp!“, brummst du, kaum ist er vorbei. Dann bist du wieder allein mit dir und der herbstlichen Natur.

Da die Eisenkonstruktion der Brücke über den rasch dahineilenden Fluss. Man hat sie wohl Ende des 19. Jahrhunderts zusammen geschraubt, als die erste Eisenbahnlinie verlegt wurde, ein frühes Beispiel deutscher Ingenieurskunst. Allenfalls die Bohlen hat man nach dem 2. Weltkrieg erneuern müssen, als die nahe Stadt in Trümmern lag, wie du an dem deprimierenden Modell im Rathaus gesehen hast.

Die Brücke überspannt ein sumpfiges Tal. Der Fluss in seiner Mitte fließt seltsam glatt. Nur hier und da kräuselt sich die Wasserfläche. Und wie dein Fuß die feucht glänzenden Bohlen betritt, da geben sie unterschiedlichen Klang. Deine Schritte tönen beinah wie eine Melodie. Du tastest mit dem Fuß die naheliegenden Bohlen ab, um die richtige Folge des Intros von „Otherside“ der Red Hot Chili Peppers zu finden. Eigentlich müsste man nur einige Hölzer austauschen, dann würden sie dem Wanderer ein Lied spielen, als wäre er auf einem großen Xylophon unterwegs.

Einstweilen musst du
dir die Töne noch suchen. Wenn es stimmt, dass irgendwo in den außerbewussten Regionen deines Kopfes die Entscheidung für deine Brückenbohlen-Fußmusik schon gefallen ist, bevor du die notwendigen Verrenkungen machst, dann bist du ja ein Getriebener ohne freien Willen. Und du denkst, während du deine Tonexperimente aufgibst und dich übers Geländer beugst: Verflixt, wie kriege ich meinen freien Willen zurück? Was wäre zum Beispiel, wenn die Zeit in Wahrheit rückwärts liefe, du aber still stündest wie jetzt?

Weiter kommst du nicht, denn du bist mehr Gefühl und Auge als Verstand. Es fehlt den Gedanken das Korsett der Buchstaben. Seit Tagen schon hast du zu sehr im Augenblick gelebt, die Natur- und Kultureindrücke genossen, hast das heitere Gespräch gesucht, und selbst jetzt hättest du dich nicht in die Sklaverei der Verschriftlichung begeben, wäre da nicht das verlockende Versprechen eines lieben Menschen, dir den gesamten Text zum Vergnügen auf Sächsisch vorzutragen.

Dü bümmelst eene Alläh endlonk. Dor Rägen fälld dünne und triffd nisch Faldbödn, nisch Wäg, nisch disch, weil äin böischer Wind ihn vörhä vorwähd. Dü ziehsd ochtsohm deine Jagge zü und siehsd wie ouch Pabbeln ünd antres Gehöllz sisch vor Windstösen vörneign. Vön weidheer rordeld ön Männ herann. Ör guggd aufn Vorderraiven und krüßt nisch.
„Friesenköbb!“, brümsde, gaum issor vörbei. Denn bisde widdr alleene müt diör ünd dor härbstlischn Naddühr. …

Guddnohmd äus Niedohrsoxn

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