Abendbummel online – Unterwegsgeschichte

Dejavu

Beim Radfahren dachte ich über eine Begebenheit nach: Vor meinem Studium arbeitete ich als Schriftsetzer. Mein letzter Chef hatte seine Druckerei geerbt und sie ein bisschen heruntergewirtschaftet. Sein Betriebsleiter billigte die Art der Geschäftsführung nicht, und er wusste einiges über den Druckereibesitzer.

Ich hatte Urlaub gehabt, und als ich meinen ersten Arbeitstag antreten wollte, fand ich die Belegschaft in heller Aufregung. Die Druckerei war zahlungsunfähig. Man versammelte sich in der Buchbinderei und besprach, was nun zu tun sei. Ein sonst überaus schweigsamer Kolleg tat sich als Wortführer hervor, und bevor ich deswegen aus dem Staunen heraus war, rief der verwandelte Kollege dazu auf, den Chef zur Rede zu stellen. Dann bewegte sich der Pulk Richtung Büro. Der Chef wandte uns den Rücken zu, saß im Halbdunkeln an seinem Schreibtisch und hatte vor sich eine Zeitung.

„Wir wollen wissen, was hier gespielt wird?!“ rief der verwandelte Kollege.
Der Chef sah gar nicht auf und sagte leise: „Das versuche ich gerade herauszufinden.“
„Aus der Zeitung???!“
„Ja, aus der Zeitung.“

Da gingen noch ein paar Worte hin und her, doch am Ende zogen wir entmutigt ab, denn er hatte uns eben nicht gesagt, was los war, sondern hatte nur bestätigt, dass ihm die Hausbank den Kredit gekündigt hatte, so dass er uns die Löhne nicht zahlen konnte.

In der Buchbinderei wurde eine Weile hin- und hergeklagt, und dann ergriff der Betriebsleiter das Wort und kündigte uns verschwörerisch die Rettung an. Er habe einen Freund, der ebenfalls eine Druckerei besitze, und sie beide zusammen seien daran interessiert, unsere Druckerei zu kaufen. Dann wären Löhne und Arbeitsplätze gesichert.

Da betrat der Chef die Buchbinderei. Er trug die Zeitung in der Hand und erklärte, dass in der Zeitung etwas Ungünstiges über seine jüngste Vergangenheit stehe. Zwar seien im Artikel nur seine Initialen genannt, doch er sei eindeutig identifizierbar. Noch am Morgen habe ihm die Bank die Konten gesperrt und so müsse er die Firma leider schließen.

Man schwieg. Auch der Betriebsleiter sagte nichts. Dann habe ich seinen schönen Plan aus Naivität vereitelt. Ich wunderte mich nämlich über sein Schweigen, darum fragte ich ihn: „Haben Sie nicht eben gesagt, Sie und Ihr Freund wollten die Firma kaufen?“
Der Chef sah seinen Betriebsleiter an, und dann ging er hinaus. Er wusste jetzt, wer den Artikel lanciert hatte.

Später erfuhr ich die Einzelheiten. Die Zeitung hatte keinen Anlass, die peinlichen Enthüllungen zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen. Die Vorgänge lagen einige Jahre zurück, und mein Chef hatte seine Schuld abgebüßt. Der Artikel war ein kleines Gaunerstück des Betriebsleiters. Er wollte die Firma über einen Strohmann zum Ramschpreis kaufen und hatte einem Redakteur deshalb die peinlichen Informationen zukommen lassen.

Übrigens und
nebenbei: Mein Chef fand einen Partner. Bald rief er an, ob ich wieder bei ihm arbeiten wolle. Wir waren dann eine Weile nur zu dritt, inklusive Chef. Bis zu meinem Studium arbeite ich in der geschrumpften Firma. Ab Mittag hatten wir meist keine Arbeit mehr und spielten bis zum Feierabend Skat.

Warum ist mir die Geschichte beim Radfahren eingefallen? Am letzten Samstag hat Christian Prudhomme, der Direktor der Tour de France in einem Interview der Süddeutschen Zeitung gesagt, Hein Verbruggen, der zweite Mann im Weltradsportverbad UCI habe zusammen mit einer niederländischen Investorengruppe die Tour de France kaufen wollen. Zitat:

SZ: Sie haben McQuaid erwähnt, doch viele sind der Ansicht, sein Vorgänger und jetziger Stellvertreter Hein Verbruggen ziehe bei der UCI alle Fäden.
Prudhomme: Ja, das denke ich auch.
SZ: Handelt er aus finanziellem Interesse, angeblich wollte er die Tour kaufen?
Prudhomme: Ja, das stimmt. Es gab da einen großen holländischen Investmentfond, der den ganzen Radsport kaufen wollte. Die Tour de France hat gesagt: Nein danke, wir sind nicht zu verkaufen.
SZ: Und deshalb versucht Verbruggen, die Tour zu destabilisieren und in Nöte zu bringen? Um den Preis drücken?
Prudhomme: So ist es wohl, Sie sagen es.

Man kann sich vorstellen, was geschieht, wenn eine Investorengruppe die Tour de France besitzt. Dann zählt nur noch Rendite, und die Radsportler könnten gar nicht umhin, auch Dopingmittel anzuwenden, um die erwarteten Leistungen zu bringen. Wer da sauber bleiben wollte, der könnte den Radsport aufgeben und dürfte stattdessen Skat spielen.

Guten Abend

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