Plausch mit Frau Nettesheim – Verkleinerungsformen

Frau Nettesheim
Trithemius
Ja, Frau Nettesheim, es weihnachtet, die Glöckchen klingen, alle Welt ist in friedvoller Stimmung, man verzeiht einander die kleinen Sünden, liegt sich in den Armen und übt schon einmal „O du fröhliche“, nur ich nicht. Denn ich bin ein harscher Mann und ziehe die Leute an den Ohren.

Frau Nettesheim
Jetzt seien Sie nicht so sarkastisch, Trithemius. Sie und ich, alle Menschen machen Fehler. Sie haben einmal geschrieben, dass der Mensch das meiste aus seinen Fehlern lernt. Das erfordert doch wohl einen milden Umgang mit Fehlern. Streit verkleinert alle Beteiligten. Alles rennen Sie nicht rum wie ein Racheengel. Das macht tiefe Falten auf der Stirn.

Trithemius
Sie meinen, meine Stirnfalten sind nicht vom Schmunzeln oder gar Lachen? Das erschüttert mich aber.

Frau Nettesheim
Ein paar freundliche Grübchen gibt es schon, vorausgesetzt Sie schmunzeln.

Trithemius
Mein Glück. „Grübchen“, das ist auch so ein Diminutiv, der nicht mehr als solcher empfunden wird. „Grübchen“ – die kleine Grube.

Frau Nettesheim
„Brötchen“ – das kleine Brot. „Märchen“ – die kleine Mär.

Trithemius
„bisschen“ – der kleine Bissen. Übrigens finde ich die reformierte Form gut. Hier stärkt sie Etymologie- und Stammprinzip. Bei der alten Form „bißchen“ war der kleine Bissen nicht mehr recht zu erkennen.

Frau Nettesheim
Man kann die Wortgeschichte nicht ewig in der Schreibweise von Wörtern aufbewahren. Bei „Mädchen“ – die kleine Magd – ist der etymologische Zusammenhang gänzlich verschüttet, ohne dass es stört. Im Gegenteil. Welches Mädchen wollte sich als kleine Magd empfinden?

Trithemius
Ja, und trotzdem ist es interessant. Denn hier zeigt sich eine alte gesellschaftliche Einstellung. Mädchen hatten dienstbar zu sein, und das nahmen sie mit in ihr Dasein als Frau. Gestern im Zug war ich Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei jungen dicken Frauen. Sie stiegen später in einem Ort aus, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Die eine der Frauen rief zweimal über ihr Handy an. Zuerst offenbar ihren Vater. Da erklärte sie, wann sie ankommen werde und was sie dann noch zu erledigen hätte wegen Weihnachten. Und sie schloss mit den beruhigenden Worten: „Putzen und Spülen kann ich anschließend!“
Dann rief sie ihren Lebensgefährten an, erklärte, dass sie noch zu ihrem Vater müsse, dies und das erledigen und anschließend nach Hause käme. „Staubsaugen und Wischen mach ich dann. Das geht ja schnell!“ Und dann erklärte sie ihrer Reisegefährtin: „Der kann manchmal ein ganz schöner Haustyrann sein.“

Uff, dachte ich, hat der Zug mich grad in die Vergangenheit gerissen? Oder hat sich auf dem platten Land ein Selbstverständnis erhalten, von dem ich dachte, es sei aus der Welt? Da kommt die Frau von der Arbeit und wird schnurstracks zum Dienstmädchen.

Frau Nettesheim
Wirkte sie unglücklich?

Trithemius
Nein, das war das tröstliche. Denn wäre sie unzufrieden mit dieser Rolle, würde sie leiden. Allerdings war sie ziemlich dick, und man weiß ja, dass viele Menschen aus Kummer fressen.

Frau Nettesheim
Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Ernährung aus, Trithemius?

Trithemius
Desolat.

Frau Nettesheim
Sehen Sie, das Gegenteil gibt es auch. Sie dürfen sich nicht nur von rasch gemachten Brötchen ernähren, sondern müssen ein bisschen mehr auf sich achten, sonst liegen Sie bald im Grübchen und begucken die Radieschen von unten.

Trithemius
Frau Nettesheim, Sie sind eine Frau wie aus dem Märchen.

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