Abendbummel Online – Über unsere Ramschkultur

Abendbummel3DBrillen35 Minuten Zwischenhalt in der Hafenstadt Neuss, die sich auf Beschluss des Stadtrats seit 1967 mit Doppel-s schreibt, weil man im fernen Ausland das Eszett nicht kennt.

Ob ich ein Käsebrötchen haben könne, fragte ich den jungen Türken hinter der Theke des Stehcafés.

„Schinken, Salami …“, sagte er, um mich zu bekehren.

„Das ist nichts für mich.

„Dann mache ich Ihnen ein Käsebrötchen, kein Problem!“

Seine ehedem helle Hose war ziemlich fleckig. Ich sagte trotzdem ja, denn die Alternative 50 Meter weiter gehörte zur selben Bäckereikette, und an der war ich vorbeigegangen, weil die Fenster von innen beschlagen waren, als hätte meine Oma Waschtag abgehalten. Ihre Waschküchenfenster beschlugen aber gleichmäßig, denn sie waren geputzt.

Mein Wunsch nach einem Käsebrötchen brachte mich in Zeitnot, denn nun verlangte er von mir die Entscheidung zwischen: „Butter, Margarine oder Marmelade? Salat? Tomaten, Gurken oder Ei? Und welches Brötchen?“

Wieso Marmelade? Ach, er meinte „Remoulade“. Auf die Idee, Remoulade zu verlangen, wäre ich gar nicht gekommen. Das Käsebrötchen selbst entstand schnell. Ich guckte nicht hin, ob er etwa zwischen dem Belegen die Finger an seiner Hose abwischte. Er stellte mir das Brötchen und meinen Kaffee auf einen Tisch, worauf ein benutzter Aschenbecher stand. Die Aschenbecher auf den anderen Tischen waren auch benutzt. Eine hübsch-hässliche Methode anzuzeigen, dass geraucht werden darf.

3,50 Euro kostete mich mein Imbiss. Sieben Deutsche Mark? Auf der anderen Straßenseite entdeckte ich ein richtiges Café. Dort würde ich besser sitzen, nur wenig mehr bezahlen, allerdings nicht so eilfertig bedient werden.

Neuss ist eine Hochburg der Ladenketten, zumindest in der Nähe des elenden Bahnhofs. Über meinem Käsebrötchen dachte ich, dass wir alle Schuld tragen an der Verelendung der Städte. Der Einzelhandel schwindet mehr und mehr, weil wir für eine Ware oder Dienstleistung nicht viel bezahlen wollen. Dann bekommen wir Ladenketten und Ramschläden. Der Zeitdruck, unter dem wir ständig stehen, sorgt für die Verbreitung von Schnellimbissen und Stehcafés. Man fühlt sich dort nicht wohl, und in diesem Sinne sorgen wir nicht gut für uns.

Und ist es nicht besser, mehr auf Qualität zu achten und weniger auf das vermeintlich Preiswerte? Es ist nicht allein eine Frage des Geldes. Der mehrmalige Verzicht auf Fastfood z.B. erlaubt das einmalige Erlebnis eines guten Lokals.

Allerdings haben Handwerk und Einzelhandel ihren Niedergang mitverschuldet. Lange Zeit galt in Deutschland das Motto: Der Kunde ist verächtlich. Ein Bittsteller, dem man nicht zu freundlich kommen darf, sonst verlangt er zuviel.

Jetzt haben wir den Salat und sind fast überall verächtlich, an der Supermarktkasse, im Schnellimbiss, im Mode- und Medien-Ramschladen …, die Liste ist lang. Freude an der Sache ist selten, und zwar vor wie hinter der Theke.

Heute musste ich schmerzlich
erfahren, dass ein gegebenes Wort nicht mehr gilt. Ich wollte Qualität und einen verbindlichen Liefertermin und dafür ordentlich bezahlen. Leider bekam ich beides nicht. Schade um das verdruckte Papier, schade um die vertane Zeit, schade um den Vertrauensverlust. Das sei im Geschäftsleben der Alltag, sagte man mir, damit müssten wir alle leben.

Diese Einstellung gehört auch zur Ramschkultur unserer Zeit. Wenn das Geschäftsleben wirklich so ist, dann ist das elend, schäbig und dumm. Ein Wort muss gelten. Und auch Qualität hat etwas mit Ehre zu tun. Man muss Werte haben und sie verteidigen, im Geschäftsleben wie im Miteinander, sonst werden wir alle in der Globalisierungsscheiße ersaufen.

Guten Abend

Dieser Beitrag wurde unter Teppichhaus Intern abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

36 Kommentare zu Abendbummel Online – Über unsere Ramschkultur

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.