Abendbummel Online – Die Frau des Malers

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Die Greisin saß im Ehrenstuhl. Sie gab mir die altersfleckige Hand. Die Frau eines Malers, der vor Jahresfrist verstorben ist. Auf dem Tisch der Nobelgalerie lag sein Werksverzeichnis, ein 1000seitiger Kunstdruck-Klotz, schwer genug, einen ausgewachsenen Mann damit zu erschlagen.

Begonnen hat er als figurativer Maler, und seine Zeichnungen aus der Frühzeit sind meisterhaft. Im Vorblättern zeigt sich seine künstlerische Entwicklung. Gemälde und Zeichnungen werden immer abstrakter. Nach dem 2. Weltkrieg ist der Schritt in die Abstraktion gänzlich vollzogen. Nun geht es dem Maler nur noch um das Verhältnis von Form und Farbe. Mit seinen Studenten hat er auf experimentelle Weise ein komplexes theoretisches Farbsystem entwickelt. Es findet in seinen Arbeiten zunehmend Anwendung. Die Bilder beginnen hermetisch zu werden. Wer die theoretischen Grundlagen nicht kennt, kann nur schwer den Zugang zu Gemälden und Plastiken finden.

Seit 1950 gibt es in Deutschland das Gesetz über Kunst am Bau. Es schreibt vor, dass etwa 1,5 % der Bausumme öffentlicher Gebäude für ein Kunstwerk ausgegeben werden muss. Im Werksverzeichnis sind auch die Fassadengestaltungen von der Hand des Künstlers abgedruckt. Übrigens war ich mit Nebenmann zu der Ausstellungseröffnung gefahren. Nebenmann war ein Meisterschüler des Malers.

Die Fassade eines inzwischen abgerissenen Gebäudes hat der Künstler von seinen Studenten entwerfen lassen. Ganz nebenbei sagte mir Nebenmann, dass er den ausgewählten Entwurf gezeichnet, die Modelle angefertigt und den Modellguss aus Beton gemacht habe. Sein Professor hat ihn später nicht erwähnt, denn den Aufttrag für die Kunst am Bau hatte er ja bekommen. Das Werk gilt als seines. Die Stadt zahlte ihm 150.000 DM Honorar, was in den 60ern etwa dem Wert von 3 Einfamilienhäusern entsprach. Von dieser Summe hat Nebenmann 30.000 DM bekommen.

Irgendwo im Werksverzeichnis zeigte Nebenmann mir ein Bild, das ihm selbst gewidmet ist. Der Professor hat es zu Nebenmanns 50. Geburtstag gemalt. Nebenmann meinte, das Bild habe er bekommen, weil sein Professor zeitlebens ein schlechtes Gewissen gehabt habe, wegen der Sache damals mit der Kunst am Bau.

Die Galerie verlangt etwa
30.000 Euro für ein solches Bild. Die größeren haben gar keine Preisauszeichnung. Der Maler hat sich zu Lebzeiten vom Kunstmarkt ferngehalten. Seine Bilder wurden bislang kaum gehandelt. Jetzt hat die Witwe Bilder aus dem Nachlass freigegeben. Und da ihr Mann tot ist, saß sie im Ehrenstuhl und hörte die Laudatio: Der Maler habe sich selbst im Weg gestanden, sagte ein Freund und Kunstkenner, und das sogar mehrmals. Welch eine Aussage. Jetzt ist er tot und steht sich nicht mehr im Weg?

Dem Kunstmarkt steht er nicht mehr im Weg.

Die Greisin saß im
Ehrenstuhl. Was mag das für ein Gefühl sein, anstelle des eigenen Mannes geehrt zu werden? Wenn man darüber nachdenkt, erhellt es sich als gut und richtig. Die Frau hat ihrem Mann stets den Rücken freigehalten, denn ihn interessierte nur seine Kunst. Sie hat die Kinder ohne ihn erzogen, sie hat ihm das Leben organisiert, seine Wäsche gewaschen, ihn bekocht und vieles mehr. Das sind gute Gründe, die alte Dame zu ehren. Ohne sie gäbe es all die Werke im Werksverzeichnis nicht. Und die Bilder des Malers sähen völlig anders aus.

Zum Abschied gab ich ihr wieder die Hand. Es war schön für mich, sie kennen zu lernen. Nebenmann war der Schüler ihres Mannes gewesen. Und ich wiederum war Schüler von Nebenmann. Wenn es diese aufopferungsvolle Dame nicht gäbe, würde auch alles, was ich gestalte, Text oder Bild, vielleicht nicht besser oder schlechter, jedoch anders sein.

Guten Abend

Übrigens, das Layout des Buches „Wanderung in das Jahr 21346“ ist so gut wie fertig. Da fehlt nur noch der 8seitige Titelbogen, mit Schmutztitel, Innentitel, Impressum, Inhaltsverzeichnis und Einleitung.
Näheres Morgen.

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