Abendbummel Online – Vielleicht mit Nebenmann

Abendbummel04
„Vielleicht führt der Weg auch nach Mechelen“, hätte mein Freund Nebenmann sagen sollen, als er mir vorschlug, am Ortseingang von Vijlen, nahe beim Hotel „Alpenzicht“ von der Hauptstraße abzubiegen. Stattdessen sagte er: „Der Weg führt auch nach Mechelen!“
So drehten wir und bogen in den steilen Hohlweg ein, der irgendwo unten hinter einer Biegung verschwand. Kurz rollten wir, dann sausten wir und zuletzt schossen wir die Windungen des Weges hinab.

Man findet im Mergelland viele versteckte Täler. Auf dem Talgrund und ein wenig die Hänge hinauf stehen schön hergerichtete Bruchstein- oder Fachwerkhäuser, inmitten fruchtbarer Felder, satten Wiesen, Buschwerk und Obstgehölz. Viele bieten Ferienwohnungen an, denn das Mergelland, das sind die niederländischen Alpen.

Ein ausgedehnter Höhenrücken an der Grenze zu Belgien hat 12 – 15-prozentige Anstiege. Wir waren 15 % hinuntergesaust, und nun ging es weniger steil, doch anhaltend bergauf. Da war keine Möglichkeit, Richtung Westen abzubiegen. Ob wir wollten oder nicht, wir mussten zum Kamm hinauf. Man bleibt noch unterhalb der Baumgrenze, versteht sich. So hoch sind die niederländischen Alpen auch wieder nicht. Deshalb schafften wir den Anstieg in einem Stück, und als wir so weit oben waren, dass wir endlich hätten abbiegen können, da waren wir eigensinnig, schalteten einen Gang höher und fietsten weiter hinauf in den lichten Herbstwald.

Hinab geht es in steilen Serpentinen, und auf halber Höhe naht der Waldrand. Man kann in ein weites Tal sehen, auf dessen Grund die Göhle mäandert. Der kleine Fluss bildet die Grenze zu Belgien, bevor er sich artig in die Niederlande wagt. An seinen Ufern reihen sich prächtige Wasserschlösser. Auf der belgischen Seite sind sie aus Bruchstein erbaut, in den Niederlanden aus dem gelben Mergelstein.

Bald hielten wir uns nur noch an versteckte Wege und sahen uns die Augen aus dem Kopf. Mal kannten wir uns aus, mal waren wir wieder wie neu in der Welt.

Nebenmann ist ein guter Begleiter, voller Gucklust und Begeisterung. Es ging uns manchmal alles viel zu schnell, denn wir sahen unter der milden Herbstsonne so viele Weiler, hübsche Häuser, versteckte Bauten und Mühlen, dass es für Tage gereicht hätte.

Jedenfalls kamen wir auch irgendwann in Mechelen an. Wir waren vor einigen Wintern schon einmal zusammen zu diesem kleinen Touristenort gewandert. Es war ein kalter Sonntag gewesen, und wir kehrten in einem rappevollen Café ein, wo die ganze Zeit Schnulzen aus den 60er Jahren liefen. Da waren Oma, Opa, Mann, Frau und Kind versammelt. Ich erinnerte Nebenmann daran, dass wir beide bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal mit Euro-Münzen bezahlt hätten.

Jetzt schlug Nebenmann vor, in Mechelen einen Kaffee zu trinken. Die Saison ist vorbei, das Herbstlaub fliegt durch die Straßen, und so fanden wir nur eine offene Kneipe. Da verabschiedeten sich gerade die einzigen Gäste. Die Decke der Kneipe hing voller Maßkrüge, an den Wänden die wunderlichsten Dinge, und es schauderte mich ein bisschen, auf einem der geschnitzten Eichenstühle zu sitzen.

Wir saßen gut am Fenster und der junge rundgesichtige Wirt brachte uns den Kaffee. Danach stand er hinter der Eichentheke, stützte sich mit gerecktem Arm oben an der Thekenverblendung ab und lauschte ganz einfach unserem Gespräch.

Nebenmann erzählte mir, er habe von einem Freund ein Gedicht bekommen, und zwar über das Wort „vielleicht“. Das sei ein eigenartiges Wort, er müsse seither ständig darüber nachdenken. Wir erwogen mögliche Etymologien, doch ich war nicht sicher, ob wir mit unseren Vermutungen richtig lagen. Der Wirt jedoch verfolgte das Hin und Her mit zunehmendem Interesse. Bald waren wir bei versunkenen Bedeutungen und Wörtern, die mit der Sache verschwinden. „Groschen“, sagte ich, das Wort kennen die jungen Leute bald nur noch, wenn ihnen mal „der Groschen fällt“.

Da der Wirt sich immer weiter über seinen Tresen gebeugt hatte, sagte ich zu ihm: „Dubbeltje, Quartje, diese Wörter verschwinden bei euch. Ach, das war schönes Geld!“

Eine Weile redeten wir über holländische Gulden und die Nachteile der Euro-Münzen. Dann fragte ich ihn: „Mir geht manchmal ein niederländisches Sauflied durch den Kopf. Doch ich kriege den Text nicht zusammen.“ Und dann sang ich ihm eine Zeile vor und fragte ihn nach einem bestimmten Wort, da ich nicht sicher war, es richtig zu erinnern. Er kannte den Wortlaut auch nicht, doch über seinen Schnapsregalen hing ein kleiner Monitor. Dort hatte er ein Menu wie eine Musikbox, das er mit dem Finger bedienen konnte.

Für den Rest unseres Aufenthalts hat der Wirt nach dem Lied gesucht. Leider wurde er nicht fündig.

Unsere Tour geriet anstrengend, denn bei Valkenburg erklommen wir die andere Höhe des Tales und fuhren auf diesem Höhenrücken zurück. Und ich nervte Nebenmann ein bisschen, weil ich immer wieder rief: „Hier möchte ich wohnen!“

Schon lange waren wir nicht so eine anstrengende Tour gefahren. Und trotzdem war der Umstand, dass Nebenmann in Vijlen vergessen hatte „vielleicht“ zu sagen, der Auftakt gewesen für eine unserer schönsten Fahrten durchs hübsche Mergelland.

Guten Abend

Vergeblich habe ich im Internet nach dem Text gesucht. Noch vergeblicher war es, dass ich eben meine Stimmbänder durch den Honigtopf gezogen habe.

Der Gesang ist nichts für sensible Ohren.

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