Abendbummel Online – Wenn man zu spät ins Kaffeehaus geht

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Er sei über den dunklen Markt gegangen, da hätten vor dem Rathaus Bretterbuden gestanden. Sie müssten über Nacht vom Himmel gefallen sein und wären noch verrammelt gewesen, vermutlich, um den Inhalt beim Herunterfallen vor dem Zerbrechen zu schützen.

Da sei ihm für einen Moment das Herz schwer geworden, denn nun fange unweigerlich bald die Zeit der weihnachtlichen Innerlichkeit an. Wenn alle Welt um ihn herum zu hasten und zu besorgen beginne, dann werde ihm sein Los besonders schwer. Denn was man auch gegen dieses Fest einwenden könne, er habe doch damals die Zeit zwischen den Tagen sehr genossen, wenn der Rummel vorbei gewesen und die Welt für einen Moment den Atem angehalten habe. Dann sei es stets warm und friedlich um ihn herum und in ihm gewesen.

Andererseits habe die
Erfahrung ihn gelehrt, dass man für das Anhalten der Welt einen hohen Preis zu zahlen habe. Spätestens nach Neujahr setze sie sich wieder in Bewegung. Das sei wie eine unterirdische Spannung, die sich entlade, gleich den Erschütterungen eines Erdbebens. Und dann werde man mit Wucht wieder in das hektische Treiben unsrer Zeit zurückgerammt.

Passend zu diesen Gedanken sei eine Radlerin an ihm vorbei die Straße hinab gerollt, und wie sie kurz vor der Ecke zu treten begonnen habe, hätte er geglaubt sie zu kennen. Diesen raschen runden Tritt habe er bislang nämlich nur bei einer Frau gesehen. An diese Frau habe er aber nicht denken wollen.

Das menschliche Gehirn organisiere alles zu Mustern, um die Fülle der Informationen verarbeiten zu können. Das sei eine Stärke und gleichzeitig eine Schwäche. Denn in diesem Fall habe ausgereicht, dass er den raschen Tritt der Frau beobachtete, wobei es völlig egal gewesen sei, ob sie es nun war oder nicht. Die schmerzhaften Erinnerungen seien sofort da gewesen.

Schon zu Zeiten, als er die Frau näher gekannt habe, sei die Stadt voller Denk- und Gefühlsanstöße gewesen, denn er habe mit ihr sowohl schöne wie auch schreckliche Dinge erlebt. Naturgemäß hätten sich inzwischen auch die schönen Erinnerungen in schmerzhafte verwandelt.

Nun habe er zudem Kummer
wegen einer anderen Frau und so dünke ihn, dass alle Welt um ihn herum glücklicher sei als er, von der Bettlerin drüben auf der Kirchentreppe einmal abgesehen. Dieser Trugschluss werde ihm natürlich von der augenblicklichen Gemütsverfassung diktiert, denn in Wahrheit habe er ja sich selbst voll und ganz und somit alles, was der Mensch braucht, um glücklich zu sein.

Man könne die Theorie vertreten, dass den Menschen fliehe, was er sich am meisten wünscht. Demnach wäre es ein guter Rat, sich innerlich von den Wünschen zu befreien. Dann werde einem als Gnade zuteil, was man nicht mehr erwarte.

glückliches Los
Letztens habe er sich aus einer Laune heraus drei Lose gekauft, die ihn jedes für sich um 50.000 Euro reichen machen könnten. Er habe die Lose unter einem Stapel Zeitungen vergessen. Dort lägen sie immer noch und harrten ihrer Öffnung. Daraus könne man schließen, dass ihm Geld nicht wichtig sei. Wenn nun aber die Theorie besage, dass man das bekomme, wonach man nicht trachte, müssten die Lose also einen großen Geldgewinn in sich verbergen. Wenn er aus Gewinnsucht nachschaue, würden sie sich dann folgerichtig in Nieten verwandeln. Deshalb lasse er sie weiterhin ungeöffnet, um sich in dem schönen Gefühl zu wiegen, um 150.000 Euro reicher zu sein, was freilich seine Einsamkeit nicht unbedingt vertreiben würde.

Inzwischen könne er mit Bestimmtheit sagen, dass alle Theorien, wie ein glückliches Los im Leben zu erlangen sei, sowohl richtig als auch falsch seien. Es gebe nichts, was wirklich zuverlässig helfe. Deshalb habe der Mensch auch so großen Bedarf an immer neuen Heilslehren.

Einzig die Plausibilität könne man gelten lassen. Wenn man die Verantwortung zur Selbstsorge beachte, sei es eher wahrscheinlich, dass sich das Glück eine Weile an deine Seite geselle. Eine Garantie habe man aber nicht. Deshalb gebe es so viele Versicherungen, mit denen man die Wechselfälle des Lebens abzusichern versuche. Dass auch dies keinen wirksamen Schutz vor Unbill gewähre, könnten alle bestätigen, die schon einmal versucht hätten, von einer Versicherung Geld zu bekommen.

Darum, sagte er, indem er an dem letzten Schluck Kaffee nippte, deshalb kümmere er sich jetzt einmal um gar nichts und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein.

Schönen Abend

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