Abendbummel Online – Über Licht und Frauen

AbendbummelSuffragetten

Die diesige Luft vom Atlantik. Der Wind bläst sie aus Südwest über die frischgepflügten Äcker. Einsam drehen sich die Windräder durch die Wolkenfetzen. Kalter Dunst umfängt mich auf meinem Rad.

Die Bauern haben ihre Rüben bereits abtransportiert. Letzte Woche lagen sie noch an der Straße entlang, zu Mieten aufgeschüttet wie Deiche.

Wenn morgens der Kristallzucker so weiß und rein in meinen Kaffee sinkt, kann ich mir nie so recht vorstellen, dass man ihn aus diesen schlammigen Knollen macht.

Es hängt eine trübe Stimmung überm Land, denn die Farbskala hat sich seit dem Altweibersommer verschoben. Die irdenen und kalten Farben überwiegen, und an den Höhenzügen, an denen sich die Farbluftperspektive zeigt, tendiert das Blau zu Grau. Nach Lüscher sehnt der Mensch sich bei solchen Farben …

“ … nach Geborgenheit, nach gemütvoller Hingabe an einen treuen Partner, aber auch eine größere Gemeinschaft. (…) Noch mehr als sonst lebt die Frau in ihrem Gefühl. Ereignisse der großen Welt werden für sie nur lebendig, wenn ihr Gemüt reagiert und sie das Geschehen in ihrer kleinen Welt nacherleben kann.“

Das sagt jedenfalls meine gestern erworbene Illustrierte Kristall aus dem Jahre 1959.

Hier zeigt sich ein Weltbild, das wir verloren haben. Im Herbst 1959 ist die Frau noch ganz auf ihren heimischen Bereich bezogen, und an Emanzipation denkt kaum jemand. Vor dem ersten Weltkrieg hatte es die Blaustrümpfe und Suffragetten gegeben. Doch die Nationalsozialisten hatten ein anderes Frauenbild geprägt. Es sollte noch gut 20 Jahre dauern, bis die Emanzipationsbewegung sich Geltung verschaffte und die Rolle der Frau veränderte.

Zurück auf die Straße. Wir fahren noch ein Stück gegen den Wind. Es rollt trotzdem gut. Ich singe ein holländisches Sauflied. Zwischen den Feldern hört mich ja niemand.
„Ik heb vannacht van jou gedroomt…“ drei Strophen, und dann habe ich das elend lange, gerade Stück Landstraße hinter mir.

In der Zeit der trüben Herbststimmung müsste der Einzelhandel eigentlich bessere Umsätze machen. Die Lockwirkung der Läden ist eindeutig größer. Wie wunderbar zieht mich das Licht aus dem Bäckereicafé an.

Das ist wieder so ein Satzbau, über den sich Samuel Clemens, besser bekannt als Mark Twain, in seinem Essay „Über die schreckliche deutsche Sprache“ lustig macht:

«Wenn der deutsche Schriftsteller in seinen Satz eintaucht, dann hat man ihn die längste Zeit gesehen, bis er am anderen Ende des Ozeans auftaucht, mit dem Verb im Maul.»

„Wie wunderbar zieht mich ….“ Ja, was denn jetzt, zieht es an oder aus? Diese Frage beantwortet sich erst am Schluss, und dann haben manche Leute den Anfang des Satzes schon vergessen. Hier ist das Problem gut behandelt. Allgemeines zur deutschen Grammatik hier.

Ich ließ mich nicht verlocken, sondern ging vielmehr in die kleine Dorfkirche, deren Außengitter ich zum ersten Mal offen sah. Hinter der Tür tat sich nur der Vorraum auf. Ein großes schwarzes Gitter versperrte den Weg ins einzige Kirchenschiff. Nur unter dem Tabernakel brannte eine kleine Leuchte. Die Farben der Kirchenfenster waren gedämpft und erhellten das Kirchenschiff kaum, so dass das warme Licht unter dem Tabernakel einen magischen Schein auf die Altardecke warf.

Es war glatt, um katholisch zu werden.

Guten Abend

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