Abendbummel Online – Freuen Sie sich stark reduziert

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Siemens-Chef Klaus Kleinfeld war im Fernsehen, eine ältere Filmaufnahme, worin er seinem Vorgänger die Hand schüttelte. Im Vordergrund ein Fotograf. Weil Kleinfeld sich zu diebisch unverhohlen über seinen neuen Posten freute, sagte der Fotograf:
„Nicht zu sehr lachen!“
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Offene Freude über gesellschaftlichen Aufstieg wird in Deutschland nicht gern gesehen. Deshalb ließ Siemens ja auch die Rolex von Kleinfelds Arm retuschieren.
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„Freuen Sie sich jetzt stark reduziert“ liegt also inhaltlich voll im Trend, obwohl es nur gedankenloser Umgang mit Sprache ist.

Wenn ich mich ein bisschen ärgern will, lese ich die Preisschilder in Modeläden, auf denen ebenfalls zum Beispiel „Hosen reduziert“ steht. Wann endlich werde ich einmal wirklich reduzierte Hosen oder Mäntel zu sehen bekommen?
Die Hosen kann man praktischer Weise nur in der Länge reduzieren. Bei Mänteln wäre eine Teilung in der Mitte ganz hübsch. In vier Wochen ist schließlich wieder St. Martin.

Man verzeihe mir übrigens das holprige Voranschreiten des Textes. Meine Sprache fließt zur Zeit nur, wenn ich mühsam Kanäle grabe. Es liegt vielleicht nicht nur an mir, sondern ist ein intersubjektives Phänomen, und liegt am Wetter, an der Jahreszeit, am Versanden der Themen … In der Presselandschaft zeigt sich das Phänomen auch. BILD muss dann titeln, dass eine Frau Maischberger angeblich sieben Jahre heimlich verheiratet ist, was mich zweimal nicht juckt. Der SPIEGEL wiederholt einfach einen Titel von vor 22 Jahren. Ich hab’s gemerkt, denn schon beim ersten Mal war Unsinn, was dort behauptet wurde.

Dass der SPIEGEL sich erneut sprachpflegerisch betätigt, hat gewiss mit dem Erfolg des ehemaligen SPIEGEL-Mitarbeiters Bastian Sick zu tun. Der Titel seines Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ist ebenso dumm wie der Spiegeltitel dieser Woche.
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Links: Ausgabe Juli 1984; 22 Jahre später: Ausgabe Oktober 2006

Jeder Pädagoge weiß, dass man das Beispiel für einen sprachlichen Fehler tunlichst nicht an die Tafel schreiben sollte. Denn das dumme Menschengehirn merkt sich leider unterschiedslos alles. Das hätte ich also gegen den Titel „Rettet dem Deutsch“ einzuwenden, der an allen Kiosken prangt. Es ist die wahre „Verlotterung der Sprache“, bei der es nur darum geht, Kasse zu machen, indem man sich an den Titel von „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ anlehnt.

Was es gegen diesen Buchtitel zu sagen gibt?
Er ist ein alter Linguistenwitz aus dem 19. Jahrhundert. Schon damals wurde behauptet, der Genitiv sei im Aussterben. Doch es gibt ihn noch heute, seine Verwendung nimmt sogar zu.

Eine lebendige Sprache muss sich verändern. Sie wird Tag für Tag geplappert, nutzt sich ab, erneuert sich wieder. Man kann diese Prozesse nicht wirklich steuern. Vielleicht geschieht zur Zeit tatsächlich etwas Negatives mit der deutschen Sprache. Man könnte es vermuten, wenn man die beiden Spiegeltitel sprachlich vergleicht. 1984 haben die Spiegelredakteure noch auf gutes Deutsch in ihrer Headline geachtet: „Eine Industrienation verlernt ihre Sprache“. Das klingt apokalyptisch, doch sprachlich ist es wenigstens korrekt. Wahrscheinlich war der Sprachpfleger Bastian Sick zu dieser Zeit noch nicht Mitglied der Spiegelredaktion.
„Rettet dem Deutsch!“
Vielen Dank. Es freut mich stark reduziert.

Guten Abend

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41 Kommentare zu Abendbummel Online – Freuen Sie sich stark reduziert

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