Aus der digitalen Welt in die Natur und zurück

Die Sonne schien. Ich fuhr Richtung Niederlande. In de laage landen. Tatsächlich geht es auf der Maastrichter Laan eine Weile bergab. Der Wind kam von West. So würde ich später beim Heimweg Rückenwind haben.

Wenn ich den Grenzort Vaals hinter mir habe und die Maastrichter Laan entlangsause, schalte ich ab. Es ist, als würde ich an der Grenze meinen Packen abgegeben. Ich brauche mir deswegen keine Sorgen zu machen. Er findet auch ohne mich nach Hause.

Ein schöner Weg biegt von der befahrenen Maastrichter Laan ab, führt bald durch einen kleinen Ort, wo vor der Kirche die pfingstlichen Fahnen flattern, und dann durch Wiesen eine Anhöhe hinauf. An der Flanke säumt sattes Gras den Weg; groß wie Getreide wiegt es sich im Wind. Bald werden die Samen fliegen.

Der Weg führt steil aus dem Tal hinauf. Unten zwischen den fetten Wiesen schlängelt sich ein Bach Richtung Göhl. Darüber staune ich immer wieder, dass ein kleiner Bach über die Jahrtausende ein so weites Tal ausspülen kann.

Weiter oben steht doch eine Bank? Oder habe ich sie übersehen, weil sie vom Gras überwuchert ist? In einer Biegung taucht sie auf. Sie ist weinrot angestrichen.

Erst kürzlich muss jemand mit einem Topf Goldbronze hier gewesen sein. Er hat die acht Nietnägel, je vier links und rechts, nachlässig damit angepinselt. Das Holz rund um die Nägel ist ein bisschen übermalt. Doch es macht nichts – dieses Gold auf Weinrot inmitten von Grün, es sieht einfach prima aus. Man mag es nicht glauben, doch die Holländer wissen in punkto Lebensart, Akzente zu setzen. Ein negatives Beispiel rollte später auf diesem Weg an mir vorbei.

Eine ganze Weile saß ich auf der Bank. Weit unter mir auf den Wiesen weiße und rotbunte Kühe, natürlich auf getrennten Weiden. So eine Kuh ist immerzu nur mit Fressen beschäftigt. Ein Glück, dass es um den Menschen anders bestellt ist. Man könnte ja nie den Kopf heben und in den Himmel schauen. Zeit für Gedanken wäre auch nicht. Vermutlich hat der Frühmensch diese Zeit nur gehabt, weil er in nicht in Herden, sondern in Gruppen lebte. Das Zusammenwirken in der Gruppe hat die Zeit in die Welt gebracht. Zeit, die sich einteilen ließ in Nahrungssuche, Jagd, Kälteschutz und – Muße. Zusammen am Feuer leise reden. So stellte sich Gemeinschaft her, und eine Gemeinschaft ist noch effektiver als die Gruppe.

Wie fern ist mir hier die Blogplattform, dachte ich. Würde ich den Rechner nie mehr einschalten, wäre sie einfach verschwunden. Die Natur rings um, der Duft des Grases, der Blütenduft, der mir leise unangenehm ist, ein lauer Wind, der Blick über das Tal und die sanften Hügel, ein blauer Himmel mit Stapelwolken, – wie kann die digitale Welt dagegen überhaupt bestehen?

Und trotzdem, da gibt es Verbindungen auf der Blogplattform. Mit der Zeit haben sich schöne Kontakte ergeben. Wo mögen sie jetzt sein? Auf einer Terrasse, einem Balkon? In der Wohnung mit Verwandten? Einige sind allein, ganz gewiss. Machen sie es wie ich? Sind sie sich eine Weile selbst genug? Holen sie sich neue Kraft aus der Natur? Von einem Grashalm im Nacken gekitzelt zu werden, wann haben sie es zum letzten Mal erlebt?

Das Papier meines Notizbuches leuchte grell in der Sonne. Ab und zu schreibe ich etwas. Meist sitze ich nur da, schaue, spüre, denke.

Irgendwann fällt der harte Schatten meines Stiftes anders auf mein Blatt. Die Sonne ist deutlich gewandert. In Wahrheit ist es anders, – ich hatte mich mit der Welt unter der Sonne weggedreht. Der Mensch ist ein Falschnehmer. Er sieht die Sonne von Ost nach West ziehen, in Wirklichkeit jedoch rast er zusammen mit dem Planeten Erde unter ihr weg, dreht sich und dreht sich, tagein, tagaus. Im immerwährenden Dreh gegen den Uhrzeigersinn entsteht unsere Tageszeit.

Wir schreiben von links nach rechts, also weg von der Erddrehung. Und tatsächlich überwindet die Schrift die Zeit. Aus den drei Sekunden der Gegenwart holen wir die Gedanken hervor und richten sie linear in Zeilen aus. Immer schön ein Gedanke nach dem anderen gerät auf das Papier. Was vorher kreisförmig war, richtet sich jetzt aus. Schreiben heißt, sein Denken aus der Zeit holen. Dort ist es noch zu betrachten und zu lesen, wenn der Planet sich schon zehntausendfach weiter gedreht hat. Wer schreibt, der bleibt.

Da knattert etwas den Hang hinauf. Ein Militärjeep kommt um die Biegung. Dahinter einer auf einem Krad. Alle tragen historische Uniformen. Dann noch ein Jeep mit Hobbysoldaten. Zwei Frauen in Zivil sitzen hinten. Man spielt gerne Militär in den Niederlanden. Ein verrücktes Volk.

Doch auch hier geht es um die Gruppe. Der Mensch braucht und sucht Gruppenerlebnisse. Und findet er sie nicht in der realen Welt, so findet er sie vielleicht auf der Blogplattform.

Ein Kohlweißling flattert bei einem Weidenpfahl. Ich schließe ein Auge und versuche Strukturen in der Landschaft zu sehen.
Kürzlich las ich von einem Forschungsergebnis US-amerikanischer Linguisten. Der Mensch habe sich bei den vielen Schriften der Erde stets an den Formen der Natur und der Dinge orientiert.

Wie sehr muss sich der Mensch geistig aus der realen Welt entfernt haben, um einen solch banalen Forschungsgegenstand zu haben? Woher denn sonst soll der Mensch seine Formideen haben? Er ist doch erst in den letzten Jahren von der realen Welt ins digitale Internet geflutscht.

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