Flashback Samstagnacht

Kein Wetter für Knirpse

Wie wunderbar ist es, fast gedankenleer zu sein. Das bisschen, was noch in meinem Kopf unterwegs ist, schreibe ich auf ein Blöckchen, das mir die hübsche dunkelhaarige Kellnerin im Last Exit gereicht hat, zusammen mit einem blauen Kugelschreiber. Ich schreibe gern auf diese schmalen Blöckchen, auf denen gemeinhin Zechen aufgeschrieben und ausgerechnet werden.
Bit

=> Neben mir an der Theke ein Glatzkopf mit Ziegenbart. Er hat sich aus Streichhölzern eine Denksportaufgabe gelegt, starrt auf die Theke, prüft die Konstellation, verändert die Anordnung und nippt an seinem Rotwein. Er steckt sich einen Zigarillo an. Rotwein und Zigarillo, es passt zu einem Ziegenbart, der Streichhölzer hin und her schiebt.

Komisch. Da wo ich herkomme, sitzt ein Mann nicht an der Theke und nippt Rotwein. Man würde ihn befremdet angucken. Der Wirt würde sich am Hochdeutschen versuchen und sagen: „Se sin wohl nischt von hier?“

Man stelle sich eine Weingegend vor, die Mosel oder noch weiter weg, die Provence zum Beispiel. Ob da Einheimische in einem Lokal hocken und Kölsch trinken? Na, egal. Der Deutsche schwört auf die Genüsse fremder Gegenden. Er ist Weltbürger. Mir ist freilich Bodenhaftung wichtiger.

Ziegenbart wirkt irgendwie unfroh.

=> Für einen Augenblick bin ich in zwei Realitäten zugleich. Denn wo ich sitze, da hockt eine Weile allabendlich Marcus Straberg, die Hauptfigur in unserem Krimi „Der Mann aus Lüttich“. Er trauert seiner Liebsten nach, die ihn verlassen hat. Da kippt er ein Kölsch nach dem anderen und weiß doch: Die Probleme schwimmen oben.

Der Zappes hinter der Theke im roten T-Shirt ist ein guter Tänzer. Während er zwei Gläser hinlegt, um simultan Weizenbierflaschen einzustecken, geht sein geschäftiges Hantieren fließend in Tanzbewegungen über. Noch besser gefällt mir allerdings die schwarz gekleidete Kellnerin, die mich bei meinem Eintreffen so hübsch angelächelt hat.

=> Ein Riese sitzt zu meiner Linken. Ein Trauerkloß, oder besser Trauerkoloss. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das an seinen Bizeps gewaltig spannt. Doch er scheint ein Problem zu haben, das sich mit dicken Muskeln nicht lösen lässt. Kein Wunder, welche wichtigen Probleme lassen sich heutzutage mit dicken Bizeps lösen? Dicke Bizeps sind nur dazu gut, die Ärmel eines T-Shirts zu spannen. Das seuchenhaft um sich greifende Pumpen und Drücken in den Muckibuden steht ja komischer Weise im umgekehrten Verhältnis zur Anwendbarkeit der Körperkraft. Wenn Du solch einen Kerl einmal gut gebrauchen könntest, zum Beispiel um ein Auto anzuschieben, ist er nicht da, weil er sich gerade die Fingernägel machen lässt. Oder er buchstabiert mit gerunzelten Augenbrauen Mens Health. Augenbrauenkämme für Männer, gibt es die eigentlich?

Jetzt hat er ein teures Handy gezückt und drückt mit seinen großen Fingern auf kleinen Tasten herum. Neben ihm auf der Theke liegt ein Knirps. Ah, der kostbare Body darf nicht dem Mairegen ausgesetzt werden. Und aus der Dauerwelle könnte eine Kräuselkrause werden. Ob so einer wirklich „Eier“ hat, wie Olli Kahn es einmal auszudrücken beliebte.

Er zahlt. Offenbar hat ihn eine SMS abberufen. Vielleicht hat seine Freundin ja den Grand Prix de la Eurovision gucken wollen und ihn so lange nach draußen geschickt.

Meine Zigarettenblättchen sind weg. Ah, sie sind hinter die Theke gefallen. Ich richte mich auf und fische sie aus einer Glasschüssel, in der seltsamer Kram liegt. Die Kellnerin guckt erstaunt, was ich wohl auf ihrer Seite der Theke zu fingern habe.

Als der schöne Mann nach draußen geht, höre ich das Zischen der Autoreifen. Er wird seinen Knirps brauchen.

=> Wie hübsch sich die Kellnerin bewegt. Sie weicht meinem Blick aus und ist ein wenig befangen, was sie nicht hindert, sich immer wieder nach Gläsern über meinem Platz zu recken. Ziegenbart hat seine Streichhölzer wieder weggepackt und guckt stiekum zu mir herüber. Was ich wohl schreibe? Über dich schreibe ich, Typ, wie du deinen Bart zwirbelst.

Es ist schön an der Theke zu sitzen, ein Bitburgerblöckchen voll zu schreiben und Zugriff zu haben auf alles, was ins Blickfeld rückt. Die Kippe zwischen meinen Fingern ist selbsttätig herunter gebrannt. Wenn ich ein paar Wortfetzen der Paare mitbekäme, die an den Tischen sitzen, könnte ich ein getreues Blitzlicht dieses Abends notieren. Er wird nicht wieder zurückkommen, nie wieder wird die Welt so sein wie in diesem Augenblick.

Eigentlich wollte ich nur drei Kölsch trinken. Jetzt bin ich noch immer hier. Ziegenbart geht. Wünscht noch einen schönen Abend. Danke, den hab’ ich. Noch nie habe ich einen Thekentext zu Papier gebracht. He, was läuft denn da für eine Musik? Sonny & Cher singen I Got You Babe. Das Lied stammt aus dem Jahre 1965 und wirkt noch immer frisch. Cher sieht ja auch noch immer so aus wie vor 80 Jahren.

=> Wenn Kellner und Kellnerin so nebeneinander an der rückwärtigen Anrichte lehnen, sind sie ein hübsches Paar, er in Rot, sie in Schwarz. Beide haben sie die Hände lässig unten und je eine Kippe zwischen den Fingern. Joviale Kraft und Anmut, ein hübsches Bild.

Das Blöckchen ist fast voll. Die Blätter habe ich zum Glück durchnummeriert. Ja, so besoffen bin ich noch nicht, dass ich mein Tun nicht organisieren könnte. Sie bringt mir das 6. Kölsch. Das ist schon eines zuviel.

=> Wie schön sind doch die Frauen. Wie sie da mit hängenden Pfötchen steht, derweil sie irgendwas aus einem Hahn rinnen lässt, …- da bevölkern diese schmucken Wesen unseren Planeten, und statt sich ihrer zu erfreuen, lässt der Mann die Muskeln spielen und zettelt Kriege an. Früher ging es dabei wenigstens um Frauen. Der trojanische Krieg zum Beispiel wurde ja durch die Entführung der Helena ausgelöst. Heute geht es um Öl oder eine fanatische Religionsauffassung. Da unterscheidet sich Georges W. Bush nicht von Osama Bin Laden. Zukünftige Kriege werden wegen Wasser geführt.

Eigentlich müsste es doch eine Lust sein zu leben. Warum nur gibt es soviel Ungemach in der Welt? … Zack, sie hat ein Glas zerdeppert. Ach so, deshalb. Der Imponderabilien und unglücklichen Zustände wegen.

Ob es der Mensch je verstehen wird, sich und seine Welt für alle zufrieden stellend zu organisieren? Liegt es an den Imponderabilien, die ständig alles verwirren? Das Wort Teufel stammt vom lateinischen Diabolus. Diabolus meint: Verwirrer.
Die Personifizierung der Verwirrung, die Idee des Diabolus, stammt aus einer Zeit der klaren Ordnung der Welt. Noch im Mittelalter war die Welt für den Menschen objektiv überschaubar geordnet: Gott, darunter die Heiligen, die kirchlichen und weltlichen Fürsten, darunter der gemeine Mensch, immer in Gefahr, den Einflüsterungen des Verwirrers zu erliegen.

Heute ist die geistige Ordnung der Welt im höchsten Maße subjektiv und in diesem Sinne per se schon verwirrt. Wenn da ein verwirrendes Element auftritt, kann sich zufällig aus der Wirrnis eine partielle Ordnung ergeben. Mehr dürfen wir nicht erwarten. Ordnungen, die für eine gewisse Zeit für einen kleinen Bereich gelten.

Da hat der Deutsche es gut. Er hat immerhin die DIN- und Eichmaße. Ist das Bier auch bis zum Eichstrich gezapft, Fräulein?

=> Du lächelst mich an? Wenn du wüsstest, wie du mich inspirierst und was ich alles tun kann mit dir, allein mit einem blauen Kugelschreiber und einem Bitburger-Blöckchen aus eurer Schublade…

Der Chef des Ladens kommt mit Gefolge herein. Er trägt eine Mütze auf seiner Glatze und wirkt irgendwie durch’n Wind. Sie setzen sich hinter mir an einen Tisch. Eine der Frauen in seiner Begleitung hat Pleasure aufgetragen. Eine Dufterinnerung, die ich jetzt nicht haben will, und doch inhaliere ich wie ein Süchtiger.

Schluss. Ich kippe Kölsch IIII I, zahle und gehe. Das muss ich jetzt nicht haben, wo ich doch gerade so schön gedankenleer war.

Draußen stürmt der Nachtwind. Kein Wetter für Knirpse.

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