Auf der Kaiserroute (2)

2. Tag bis in die Nacht

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Wäre es mir auferlegt, die heftigen Gefühle dieses Tages zu vermitteln, müsste ich das eine oder andere Ungewitter niedergehen lassen, durchsetzt mit verstreuten Aufhellungen.
Die erste Aufhellung hatten wir am Morgen, und während wir um einige Orte nahe bei Düsseldorf herumgeführt wurden, schien es eine Weile, als wollte sich das Wetter stabil halten. Doch schon als wir ins Neandertal abtauchten, schwand die Sonne und es wurde lausig kalt.

Man hat vor dem futuristischen Gebäude des Neandertalmuseums einen Vertreter seiner Spezies in Beton dargestellt. Der Schöpfer dieser Plastik hatte einen grobschlächtigen, affenartigen Mann vor Augen, – vielleicht stellte er auch nur sein inneres Wesen dar, – doch in Wahrheit war der Neandertaler durchaus eine kultivierte Sorte Mensch. Er lebte halt in eisigen Zeiten, da war es gut, ein bisschen zottelig zu sein.

Wir gingen in das Café neben dem Museum. Hier wurde mir der erste ästhetische Schock zuteil. Denn die Einrichtung erinnerte schon stark an Gelsenkirchener Barock, worauf ich innerlich noch gar nicht eingestellt war. Jedenfalls gehört zu der Atmosphäre solcher Lokale, dass es nur „Kännchen“ gibt, wenn du Kaffee willst.

Diese Lokale haben jedoch auch etwas sehr Schönes: das Aufatmen in dir, wenn du sie wieder verlässt. Es ist, als hätte man die Absolution erfahren. Man muss sich dieses Erlebnis aber eigentlich nicht antun. W. ermahnte mich später einmal, es sei unschicklich, in ein Lokal nur hinein zu riechen, um ihm dann sofort den Rücken zu kehren. Bist du also einmal darin, hast du dein unbeschwertes Fühlen und Denken erst einmal verwirkt. Und dafür musst du auch noch ein „Kännchen“ bezahlen!

Bitte, wir waren so lange in diesem beengenden Restaurant, um zu verschnaufen, denn jetzt wird es anstrengend. Ach, mein Gott, es geht auf und ab ins Bergische Land, meistens jedoch auf. Hatten wir glücklich eine Kuppe erreicht, winkte auch schon die nächste Abfahrt und ein neuerlicher Anstieg schloss sich an. Jetzt erklärt sich, warum ich mich über den Biker auf der Fähre so machtlos hatte ärgern müssen. Der Mann hatte ja Recht, als er sagte, mein Rad sei gut für flache Strecken. Mir ist das Bike gestohlen worden, und mein Stadtrad hatte beileibe nicht die richtigen Übersetzungen für die steilen Wege. Da stand ich in so manchen Berg „geparkert“, wie die niederländischen Radsportreporter sagen. Auf Deutsch hört es sich noch schlimmer an: In einigen Steilstücken parkte ich mein Rad beinah. Da hatte ich Sorge, die Kette würde reißen. Dazu fiel unentwegt der Regen. Er hüllte das Bergische Land ganz einfach ein. Und launisch war er auch, denn er kam manchmal eisig daher und stach wie Nadeln im Gesicht.

Plötzlich ein Wolkenloch, dann reißt der Himmel auf und die Sonne lacht. Die gepflügten Felder zu unserer Linken beginnen zu dampfen. Es weht ein kräftiger Wind. Er schiebt den hellleuchtenden Dunst in kleinen Wolken vor sich her, treibt die Wolken wieder zusammen und dann weiter übers Land. Unentwegt steigt neuer Dampf auf. Die Erde atmet aus.

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Wenn man sie saufen kann, ist viel Sauerstoff in der Luft. Das macht das Fahren leichter, und man frisst ein paar Kilometer mehr als sonst. Leider übersahen wir eine Abzweigung der Kaiserroute und fraßen wohlgemut Kilometer, die wir nachher zurückzahlen mussten. Das war bei Wuppertal, wovon wir die oberen Häuser sahen. Die Kaiserroute wieder zu finden kostete uns eine Stunde.

Gegen Mittag waren wir nass und durchgefroren. Da lockte in einem Tal ein einsames Lokal als „Radlertreff“. Auf der Ecke war geschickter Weise ein Fahrrad an ein Verkehrschild gekettet. Es hatte zwei Plattfüße und war auch ein wenig krumm. Doch auf seine Fernwirkung kam es an, denn hat man erst einmal gehalten und die Füße auf dem Boden, mag man nicht mehr weiter. Ich hatte mein Mittagstief, da war ich froh, ins Warme zu kommen.

Man muss vorausschicken, dass es ein gutbürgerliches Lokal war. Es hatte nicht die Spur von einem „Radlertreff“. Um uns herum wurde gutbürgerlich gegessen, ein dicklicher schnellfüßiger Kellner eilte geschäftig umher. Seine raschen Füße waren sein Kapital, denn in seinem Kopf konnte er sich nicht viel merken. Er trug die Bestellungen orientierungslos durch die drei Räume, in dessen mittlerem wir saßen. Es war auch verständlich, dass er so gut wie niemals aufsah, es wäre ein Wahrnehmungsreiz zuviel gewesen. Gut, unsere Bestellung konnte warten, denn ich musste gucken.

W. ist ein weltläufiger Mann, und er beendete mein Staunen, indem er die Sache benannte: „Das ist Gelsenkirchener Barock, und du darfst nicht vergessen, die Menschen aus dem Ruhrgebiet stammen aus aller Herren Länder, doch was sie eint: Sie waren Kleine Leute.“

So gerüstet trieb ich meine ethnologischen Studien. Neben uns saß ein mittelaltes Paar. Wir kamen ins Gespräch, denn das Warten auf unsere Bestellung einte uns. Natürlich war das Wetter unser Thema. Die Frau sagte, oben in Remscheid sei Schnee gefallen. Sie hätten im Radlertreff einen Tisch bestellt, doch die Bekannten aus Remscheid hätten abgesagt, weil sie wohl eingeschneit waren. Das hielt ich für eine Übertreibung. Ich konnte mir viel eher vorstellen, dass von den Remscheidern drei Schneeflocken herbeigefleht worden waren, damit sie nicht die weite Fahrt durchs Bergische Land antreten mussten, um im Radlertreff Riesenportionen ungesunder Dinge zu essen.

Na ja, wir saßen auch da, trockneten ein wenig, um dann erneut in den Regen hinauszugehen.

Es wird jetzt etwas langweilig, man kann getrost die nächsten Zeilen überlesen. Neviges zum Beispiel kann man vergessen. Es ist ein Wallfahrtsort, glaube ich, doch er hat keine gute Atmosphäre.

Wir näherten uns Langenberg, wo auf der Höhe ein berühmter WDR-Sender steht. Tief taucht die Straße zum Ortskern hinab. Man wird schnell, das hebt die Laune, und die Abfahrt ist lang. Ich hatte die leise Hoffnung, W. zu überreden, die Etappe am schönen Hotel im alten Stadtzentrum zu beenden. Doch just als wir hielten, kam die Sonne wieder heraus.

Deshalb geht es jetzt weiter im Text. Tut mir leid, es ist nicht meine Schuld.

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Natürlich regnete es bald wieder. In den Vororten von Essen bekam ich den Zweiten Atem. Eine Weile fuhr es sich leicht, denn ich wähnte unser Ziel vor Augen. Doch es gab nirgendwo eine Übernachtungsmöglichkeit, und man sagte uns, es sei am Besten, bis Hattingen zu fahren.

Als wir ins Ruhrtal kamen, verröchelte mein Zweiter Atem. Ruhr und Regen waren eins. Das Ruhrtal ist weit und wirklich schön, doch ich war einfach zu platt, um die Schönheit dauerhaft zu würdigen. W. hat einen Höhenmesser an der Armbanduhr, der jedoch am Luftdruck geeicht werden muss, damit er ordentliche Werte zeigt. Im Ruhrtal zeigte die Uhr 80 Meter unter dem Meeresspiegel an. Das entsprach zwar einerseits meiner Wahrnehmung, andererseits dachte ich, dass 80 Meter unter Null auch die zutreffende Beschreibung meiner Verfassung war.

W. hat den langen Winter über im Fitnessstudio an seiner Kondition gearbeitet, ich dagegen habe am Rechner gesessen. Das rächte sich jetzt.

Das Ruhrtal scheint den Hang zum Sport enorm zu fördern. Auf dem Wasser Menschen in Booten und Kanus, die noch Lust hatten, uns durch den Regen zuzuwinken, auf dem Ruhrtalweg viele Jogger, von denen mich einige beeindruckten, weil sie trotz der Kälte mit nackten Beinen liefen. Überhaupt scheint der Ruhrgebietler recht wetterfest zu sein. Die auf unserem Weg herumstreunenden Hundebesitzer sind grundsätzlich barhäuptig gewesen.
Na, egal, wenn man einmal nass ist, tut zusätzlicher Regen auch nichts. Im Gegenteil, er massiert ja ein wenig den Kreislauf.

Wo zum Teufel ist Hattingen? Da, nach einer Flussbiegung tauchen die ersten Schilder auf.

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Wir verließen den Ruhrtalweg und rollten über nasses Kopfsteinpflaster ins Stadtzentrum. Da war ein ansehnlicher alter Hotelbau, wo W. nach Zimmern fragte. Er kam mit der glücklichen Nachricht zurück, dass man uns zwei Einzelzimmer sogar billiger lassen würde.

Habe ich je so etwas wie eine Aura besessen, so war sie jetzt in jedem Fall weg. Ich wollte eigentlich nur noch unter die heiße Dusche und dann in ein Bett kriechen. Leider muss der Bericht weiter gehen.

Das Hotel wurde geführt von sehr freundlichen, flinken Chinesen. Chinesen können sich offenbar sehr gut arrangieren. Sie hatten die Einrichtung der Restauranträume belassen, zum Beispiel ein schrecklich überladenes eichenes Monster einer Thekenlandschaft. Doch wo Platz gewesen war, hatten sie schier beliebigen chinesischen Kitsch platziert. Zum Glück war ich zu Beginn des Aufenthalts nur noch dankbar.

Die Frau des Hoteliers war deutlich breiter und runder als er und trug stets lächelnd ein kleines Kind im linken Arm. Mit der freien Hand arbeitete sie.

Das Einzelzimmer habe ich zunächst kaum wahrgenommen. Es war eine lange schmale Hundehütte, und ich kroch einfach hinein. Doch schon beim Duschen überkam mich das große Staunen …

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Das perfekt geflieste Bad war derart eng und klein, dass man sich nur nach gezielter Überlegung drehen oder wenden konnte. Das war die große chinesische Improvisationskunst. Ich war sicher, dass die chinesische Wirtin, obschon dicker als ich, dieses Bad bis in den letzten Winkel putzen würde, und dabei hätte sie natürlich im linken Arm das kleine Kind. Ich jedoch eckte überall an und zwängte mich hinfort nur nach gründlicher Planung in dieses Bad. Auch hätte ich gerne den Installateur gesehen, der in dieser Enge alles sauber angebracht hatte. Diesem Mann hätte ich gern einmal die Hand geschüttelt.

Wir haben chinesisch gegessen, bekamen unsere Töpfchen und Näpfchen, als wir gerade erst fertig bestellt hatten. Ich war maulfaul, voller Demut, bzw. Dankbarkeit, dass die flinken Chinesen mir Nahrung gewährten.

Eine kleine Situation bevor ich in meine Hundehütte krieche, um wie tot zu schlafen:
Als wir unsere Essen bezahlen wollten, saß ein Einheimischer an der Theke. Er war angetrunken und redete wirres Zeug. Plötzlich stand er auf und sagte: „Sayonara!“

Ich dachte, hier stimmt was nicht. Bevor ich mich gedanklich gekramt hatte und gerade bei: „Japanisch“ angelangt war, sagte der Wirt lachend: „Aber wir sind Chinesen, keine Japaner!“

Donnerwetter, bei den flinken Chinesen ist es schwer mitzuhalten. Besonders, wenn man sich gerade wie 80 Meter unter dem Meeresspiegel fühlt. Morgen dann wieder fit.

Teil 3

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