Abendbummel Online – Dreckiges Braun, fast Schwarz

Soll das ein Bummel werden, durch Kälte, Wind und Regen? Durch öde Straßen, vorbei an rollendem Blech? Geht eigentlich jemand hin und zeichnet den täglich Irrsinn auf?
Die Gewalt der Karren, das gleichgültige Starren.
Wo ist die Kamera, die das für die Nachwelt bannt?

Da kniet der Bettler, und er hat sich einen schlechten Platz gesucht. Elend ist er, und der fleckigste, schäbigste Ort auf dem Trottoire, eine Stelle, die du nicht mit deinen Füßen treten magst, dieser Platz ist ihm recht für seine Knie.

Es hilft ihm nicht, dass er sich noch kleiner und dürftiger macht als er ist. Man hastet vorbei und wendet den Blick.

Was wäre, frage ich dich, der du an einen Jesus glaubst und zu Karfreitag seiner Hinrichtung gedenkst, was wäre, wenn es stimmt, was manche Texte behaupten.
Was wäre, wenn Jesus mit Maria Magdalena einen Sohn gezeugt hätte?

Vor Jahren hatte ich eine Kollegin. Sie erzählte einmal stolz, ihre Vorfahren könne man zurückverfolgen bis hin zu Kaiser Karl dem Großen. Da habe ich geschmunzelt, denn es ist über Jahrtausende hinweg eine große Verwandtschaft zwischen den Menschen, so dass sich mit Fug und Recht bald jeder Zweite auf einen solchen Urahn berufen könnte.

Was wäre also, wenn der elende Bettler, um den du gerade einen Bogen machst, was wäre, wenn er ein Nachfahre von Jesus wäre? Das wäre doch irgendwie ärgerlich und peinlich.

Doch ich will mich nicht darum bekümmern. Denn habe ich nicht meinen eigenen Packen zu tragen? Du stammst von Jesus ab, elender Mann? Schön für dich, dann solltest du dich glücklich schätzen. Soll doch der himmlische Gott sich um dich kümmern und um all die anderen, die ächzen und stöhnen.

Denn sieh mal, ich bin mein eigener Gott. Ich muss sehen, dass ich mich in der Welt der anderen egomanen Götter bewähre. Es ist eine raue Welt, obwohl sie nichts mit der schmutzigen Lache zu tun hat, in der du kniest. Doch sie ist nicht weniger kümmerlich als deine. Und weil ich nicht auf irdische Geschenke und göttliche Gaben hoffe wie du, deshalb ist meine Welt ohne Trost.

Ich sage dir etwas, fremder Mann, der du vielleicht von Jesus stammst. Die Ideale deines Vaters hat mir meine Mutter mitgegeben. Ich habe diese Werte in mir getragen und gedacht, dass es meine eigenen sind. An das Gute im Menschen mochte ich glauben. Doch die Welt, das musste ich sehen, sie drehte sich ganz einfach darunter hinweg. Sie hat andere Ziele für sich erkoren.

Und ob ich will oder nicht, sie hat mich mitgerissen. Man hat Sachzwänge und Pflichten, Menschen, für die man sorgen muss. Da kann man nicht jeden Tag auf Ideale schauen. Was wäre das für ein Leben, frage ich dich.

Ja, das Glück zu finden, ist trotzdem nicht leicht für mich und die anderen, die an dir vorübergehen. Denn im Herzen wissen wir, wie es besser ginge und dass wir etwas ändern müssten. Drum räsonieren wir, lamentieren, rechten und richten. Doch bricht der neue Tag an, springen wir hurtig in die Mühle. Denn sie muss treiben, wie es befohlen ist.

Wer uns den Befehl gibt? Die Abzocker, die Wegelagerer, die gewissenlosen Halunken, die Zolleintreiber vor dem Irrenparadies. Wir beten ihre Speichellecker an und erheben sie zu unseren Vorbildern. Und geben sie den Befehl, dann basteln wir sogar an unseren Körpern herum, quälen uns in Fitnesstretmühlen und lassen uns die Gene auskämmen.

Glaubst du noch an soziale Gerechtigkeit? Es ist zynisch, wenn ich gerade dich frage. Und gefährlich für meinen Seelenfrieden ist es auch. Nimm dich in Acht, dass dich heute keine Rüpel erwischen, die eine neue Gewaltszene für ihr Handy brauchen. Denk dir nichts dabei, wenn man dich noch tritt, wenn du am Boden liegst. Sie können nichts dazu, man hat ihnen das Mitfühlen nicht beigebracht. Es wird mal in der Schule davon gesprochen, auch von den Kanzeln herab wird es gepredigt. Doch meist ist es nur Lippenbekenntnis, verstandloses Brabbeln ohne rechtes Beispiel. Denn am Beispiel lernt der Mensch. Und wenn auch hier und da die guten Beispiele zu sehen sind, so geht es ihnen doch wie den hellen Farben, die man mit dunklen zusammengießt. Die dunklen setzen sich durch, es kommt nur ein dreckiges Braun, fast Schwarz dabei heraus.

Nur einen Trost habe ich für dich. Gelegentlich, man mag es nicht glauben, wenn du Glück hast, dann findest du Menschen mit Wärme im Herzen. Menschen, für die Altruismus kein Wort ist, das sie im Kreuzworträtsellexikon nachschlagen.

Doch sie sind schwach, denn sie sind vereinzelt, wie vom Wind vertrieben. Und darum kannst du nur ein Almosen von ihnen erwarten. Nur wenn sie Verbindung zueinander aufnehmen, würde sich vielleicht auch dein Los ändern. Doch darauf warte lieber nicht. Es könnte noch eine Weile dauern.

Guten Abend

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