Abendbummel Online – Wind op kop

Dieser Abendbummel wird kurz. Jedenfalls vermute ich es, denn ich bin redlich müde von einer langen Radtour unter einer Sonne, die manchmal sogar wärmte. Doch es wehte ein kalter Nordostwind, den wir bei der Rückfahrt „op kop“ hatten, wie die Niederländer sagen, also: von vorn. W. und ich entschieden uns, nach Valkenburg zu fahren. „Das ist gut“, sagte W., dann haben wir bei der Rückfahrt den Wind von hinten. Ich wusste, dass es nicht sein konnte, doch ich widersprach nicht, denn das Ziel gefiel mir.

=> In den Niederlanden gibt es ein gutes Wegesystem für Radfahrer. Man wird über Wirtschaftswege, gelegentlich auch über kleine Straßen geführt. Die Routen haben in Abständen von etwa fünf Kilometern Kontenpunkte, an denen eine Tafel mit Streckenkarte steht. Jeder Knotenpunkt hat eine Nummer. Man sucht sich also auf der Karte über die Kontenpunkte hinweg eine Strecke aus. Nun braucht man sich nur die Nummer des nächsten Knotenpunktes zu merken. Unterwegs sieht man kleine Hinweisschilder, auf denen die Nummer steht und Abzweigungen durch Pfeile angegeben sind. Irgendwann kündet ein Schild freundlich: „U nadert koppunt xx!“ (Sie nähern sich dem Knotenpunkt xx). So ist auch an die Schlafmützen unter den Radfahrern gedacht.

=> Wir stießen hinter Orsbach auf den Kontenpunkt 88. Die Nummer 88 war jedoch auf der Karte nicht zu lesen. Wo die Nummer stehen sollte, gibt es nur eine helle Abriebstelle. Es ist auf allen Knotenpunkttafeln so, die ich bislang gesehen habe. Wenn man nämlich dort steht und sich lokalisiert hat, tippt man unwillkürlich mit dem Zeigefinger auf die Stelle. „Wir sind hier!“, heißt es dann. Ich ertappte mich an Tafel 88 auch dabei. Auch unser zweiter Knotenpunkt auf der Karte war kaum zu lesen. Das passiert bei besonders beliebten Strecken. Von Nr. 88 zu Nummer 58 und weiter zu 57 ist meine Lieblingsstrecke. Sie beginnt wellig, und wellig bedeutet im Mergelland steil hinunter, steil wieder hinauf. Es gibt dort eine Passage, da taucht man etwa 200 Meter hinab und bekommt dabei soviel Schwung, dass man den folgenden Anstieg bis kurz vor der Kuppe hinaufrollt.

Übrigens merke ich gerade: Der Abendbummel wird doch länger. Vielleicht machst du dir vorher etwas zu essen und trinkst noch einmal etwas. Oder komm morgen wieder. Ich sage das nur, damit sich nachher niemand beklagt. Ach ja, und tiefgründige Überlegungen gibt es heute nicht. Es geht nur gerade so an der Oberfläche weiter.

=> Man fährt durch herausgeputzte pittoreske Dörfer, wo einen die Leute freundlich grüßen. Man muss mindesten „hoi!“ rufen; so ist nun einmal Sitte. Nach den Wellen geht es längere Zeit bergauf, bis man auf einen Höhenrücken gelangt. Dann folgt die Strecke dem Höhenrücken für einige Kilometer, und man hat eine sehr schöne Aussicht ins weite Tal der Göhl, an deren Ufer…? Genau…viele prachtvolle Wasserschlösser liegen. Sie sind aus dem gelben Mergelstein erbaut, den man in der Region einst unterirdisch abgebaut hat. Durch Verwitterung wird der Stein grau. Doch es ist ein lebhaftes helles Grau, dem man an manchen Stellen ansieht, dass Gelb darunter lauert. In der Sonne sehen auch verwitterte Bauten aus Mergel sehr ansprechend aus.

=> Als wir die lange, anfangs sanfte Abfahrt ins Göhltal rollten, konnten wir den Effekt der Farb-Luft-Perspektive gut sehen, den die alten Meister in der Landschaftsmalerei gerne eingesetzt haben, um der Landschaft Tiefe zu geben.

Im Vordergrund hat man verschiedene Farben vor Augen, ausgedehnte Wiesen, helle Felder, auf den noch die vertrockneten Maisstümpfe vom Vorjahr stehen, Felder, denen der Pflug dunkle Streifen in die Ackerkrume geschrieben hat, braune Buchenhecken, leuchtende Stellen an den Kopfweiden, die frisch beschnitten sind und aussehen, als hätte ein wahnsinniger Friseur ihnen zugesetzt…

Weiter hinten wellt sich die Landschaft hinauf zum nächsten Höhenrücken. Schon nähern sich die Farben der Blauskala an. Und ganz am Horizont ist der übernächste Höhenrücken nur noch blaugrau verwaschen.

=> Drei Anzeichen für den beginnenden Frühling nannte mir W. Das dritte Anzeichen fehlte noch: Die Apfelblüte. Hier ist sie legendär. Doch die lange Apfelplantage zu unserer Rechten lag noch im Winterschlaf. Mir fällt gerade ein weiteres Anzeichen für den beginnenden Frühling ein: Die Bauern fahren Jauche.

=> Wir fuhren bis Valkenburg. Zuerst hielten wir bei dem alten Wasserschloss von Oud-Valkenburg. An den Brückenmauern hingen Verbotsschilder. „Es ist verboten, in den Stein zu ritzen!“, stand da auf Niederländisch. Denn der Mergelstein ist weich. Und Touristen hinterlassen darin gerne „Ich-war-hier-Marken.

Später schoben wir die Räder durch die Fußgängerzone der Stadt. Vor den Cafés saßen schon einige Touristen. Sie wirkten wie Zugvögel, die etwas zu früh zurückgekehrt sind. Immerhin haben die Cafés ja Heizstrahler unter den Markisen.

Die Rückfahrt wurde mir sauer. Wir fuhren nun beständig leicht bergan, und das mit diesem elend kalten Wind op kop. An der Straße lag es nicht, dass ich „beißen“ musste. Sie wurde erst kürzlich erneuert. W. staunte darüber, und meinte, in Deutschland dagegen müsse man sich darauf einrichten, dass das Straßennetz immer maroder werde. Es sei kein Geld da für Erneuerungen.

=> Als ich später immer wieder an seinem Hinterrad lutschen musste, wünschte ich mir auch eine Runderneuerung. Wir sind nur 54 Kilometer gefahren, eine Entfernung, über die wir früher nicht einmal gesprochen hätten. Er ist den Winter über immer fleißig ins Fitness-Studio gegangen. Doch ich habe die meiste Zeit vor dem Rechner verbracht. Das muss sich ändern. Es soll ja bald schon der Regen kommen. Hoffentlich regnet es dann nicht wochenlang junge Hunde oder sogar Meteorologen. Dem Wetter kann man nicht mehr trauen. Ob sich so ein Baum eigentlich wundert, wenn der Frühling so lange auf sich warten lässt? Er ist sich dann vermutlich keiner Schuld bewusst. Warum sollte er? Wir sind ja auch völlig überrascht und haben nichts mit dem Klimawandel zu tun.

Guten Abend

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