Abendbummel Online – Ein Karton blaue Tinte und ein Wanderer im Kopf

Die Zutaten: Pappkartons, ein Polizist, eine rotblonde Frau, Steinbrück, Muster, eine Schande für Deutschland

=> Heute bin ich zweimal mit dem Rad durch die Stadt gefahren, also querdurch und zurück. Ich fuhr Straßen, die mir früher etwas bedeutet hatten. Wenn man lange in einer Stadt lebt und zudem innerhalb dieser Zeit mehrfach umgezogen ist, hat man in seiner Biographie Aufmerksamkeitsschwerpunkte, die zu verschiedenen Zeitschichten gehören. Straßen, die man eine Weile oft gegangen ist, Häuser und Gebäude, die man häufig betreten hat. Plätze, mit denen sich schöne und unschöne Erinnerungen verbinden und so fort. Man hat diese Dinge im Kopf, doch oft benötigt man einen Auslöser, damit man wieder an sie denkt.

Obwohl es natürlich auch Erinnerungen gibt, die sich plötzlich ohne erkennbaren Anlass einstellen. Sie trudeln durch dein Denken wie Steine im Gebirge, die ein unachtsamer Wanderer losgetreten hat. Wer jedoch der unachtsame Wanderer im eigenen Kopf ist, weiß man nicht zu sagen.

=> Also irgendwie ist dein Heimatort in deinem Kopf gespiegelt. Diese Spiegelung ist natürlich nicht komplett, sondern sie besteht aus Selektionen. Diese Auswahlen aus der Fülle der Wahrnehmungen bestimmen unser Leben. Sie sind bedingt durch unser Interesse. Es ist nicht so nachteilig wie es klingt. Wir wären handlungsunfähig, wenn wir alle Informationen beachten würden, die auf uns einströmen. Deshalb selektiert unser Gehirn und legt Bedeutungsmuster an. Stößt eine Wahrnehmung an eine Ecke eines Bedeutungsmusters, wird sogleich das ganze Muster aktiviert. Deshalb ist es auch schwer, bekannte Dinge einmal neu zu sehen. Was man täglich vor Augen hat, sieht man eigentlich nur ungefähr. Es ist gut so, unser Gehirn achtet auf Energieersparnis und sorgt durch seine Selbstorganisation dafür, dass möglichst viele Handlungen automatisiert werden. Doch manchmal haben diese Muster auch schwere Nachteile. Einen Nachteil erlebte ich heute.

=> Beim Durchqueren der Stadt zogen eine Reihe kleiner Sequenzen aus meinem Leben durch mein Denken, und ich musste zugeben, dass es in der jüngeren Vergangenheitsschicht viele unerfreuliche gab.

Bei der Rückfahrt stieß ich im Zentrum an eine Fußgängerzone und stieg ab. Ein Polizist ging vorbei und drehte sich nach mir um. Da lachte eine rotblonde Frau mich an.
„Er hat geguckt“, sagte sie.
„Sie meinen, ob ich auch absteige?“
„Ja“, sagte sie und lachte erneut. Sie war hübsch, eine Ausländerin. Und sie schien es toll zu finden, dass die deutsche Polizei so etwas Unwichtiges beachtet wie einen Radfahrer an der Fußgängerzone. Vielleicht kam sie aus einem Land, in der die Polizei sich nicht um derartiges bemüht, weil sie zum Beispiel mehr damit beschäftigt ist, Geld von irgendwelchen Händlern zu erpressen oder Demonstrationen auflöst, indem sie auf Leute einprügelt oder in die Menge schießt.

=> Na, ich habe mich nicht weiter um die Frau bemüht. Sie hatte Pech. Just an dieser Fußgängerzone bin ich vor etwa acht Jahren bereits einmal von einer hübschen rotblonden Frau angesprochen worden. Es folgte eine siebenjährige Gefühlsachterbahn, an der ich noch heute manchmal laboriere. Daher auch die vielen schmerzlichen Erinnerungen. Und leider wurde durch die Örtlichkeit und Ähnlichkeit der Situation das alte Muster bei mir aktiviert.

=> Der Polizist war übrigens auf dem Weg, eine Straße zu sicher, denn man hörte die Trillerpfeifen einer Demonstration. Deutsche Polizisten schützen Demonstrationen. Es gehört zu den Errungenschaften unserer Republik, auf die man stolz sein kann. Ich sah den Aufmarsch später am Elisenbrunnen. Eine Frau sprach ins Mikrophon. Was sie sagte, konnte man kaum verstehen. Einige Hundert Eltern und Kinder hatten sich hier versammelt, und lärmten sich in Stimmung, um anschließend durch die Innenstadt zu ziehen. Sie demonstrierten für kostenlose Kindergartenplätze und mehr finanzielle Unterstützung.

=> Herr Steinbrück war gestern in den Nachrichten. Er will kostenlose Kindergartenplätze finanzieren, indem er das Kindergeld kürzt. Es ist eine hübsche Idee. Man nimmt es den Eltern aus der linken Tasche und steckt es ihnen wieder in die rechte. Über solche Wohltaten freut man sich. Es ist ein feines Nullsummenspiel, etwas für langweilige Tage.

Eltern, deren Kinder bereits zur Schule gehen, haben überhaupt keinen Vorteil, sondern ihnen kürzt man das Kindergeld. Da es weniger Kleinkinder als größere Kinder gibt, bekommt Herr Steinbrück bei seiner Wohltat sogar noch etwas heraus. „Steinbrück ist eine gerissene Sau“, würde ich schreiben, wenn es keine Beleidigung wäre.

=> Ich musste später den Demonstrationszug passieren lassen, denn ich wollte in eine Schreibwarenhandlung, um eine Schachtel zu kaufen. Kartons kriegt man ja überall nachgeworfen. Doch wenn du eine bestimmte Größe brauchst, sind Kartons teuer, und die richtige Größe kriegst du dann trotzdem nicht. Auch in der Post fand ich nichts Passendes, ließ mir aber ein Probeabo der Süddeutschen Zeitung andrehen. Vier Wochen zum halben Preis, keine Kündigung nötig, eine Uhr durfte ich mir aussuchen und zwei Bücher aus der SZ-Edition. Was ein Zeitungsverlag da noch verdienen will? Man merkt daran, dass die Verlage mit dem Rücken zur Wand stehen. Fast überall brechen die Auflagen weg, bzw. sie sind schon lange weggebrochen. Wenn die Leute sparen müssen, kündigen sie zuerst ihr Zeitungsabo.

=> Das gilt natürlich nicht für die BILDZEITUNG, die heute ja auch über Kartons schreibt. „Eine Schande! 4000 deutsche Soldaten in Papp-Kartons“, schreibt BILD.
Was für ein brisantes Thema. Hatte denn keine einzige männliche oder weibliche Medienhure einen Furz gelassen, der eine bessere Schlagzeile hergab?

Worum geht es? Bild schreibt:
„Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) hatte die Toten auf Friedhöfen in ganz Tschechien exhumieren lassen, wollte sie dann noch einmal auf einer zentralen Gedenkstätte in Prag „würdevoll“ bestatten.“

Doch plötzlich fehlte das Geld. Deshalb liegen die Gebeine vorerst in schwarzen Pappschachteln.

Man fragt sich, was die Bildredakteure eigentlich für seltsame Muster im Kopf haben. Die Pappschachteln sind doch nicht die Schande. Die Schande besteht darin, dass deutsche Väter und Söhne in einem unwürdigen Krieg verheizt wurden, in dessen Folge ihre Gebeine in fernen Ländern modern.

Es stand ja auch einmal in BILD, man habe in einem Moskauer Keller Hitlers Schädel gefunden. Er lag in einem Karton, auf dem „Blaue Tinte“ stand.

=> Särge aus Pappe werden übrigens in den Niederlanden bereits gerne genommen. Denn es wächst die Zahl der Familien, die sich eine Beerdigung ihrer Angehörigen nicht mehr leisten können. Das ist in Deutschland nicht anders. Bin gespannt, ob BILD wegen dieser Schande auch einmal aufheult.

Guten Abend

Dieser Beitrag wurde unter Teppichhaus Intern veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

9 Kommentare zu Abendbummel Online – Ein Karton blaue Tinte und ein Wanderer im Kopf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.