Er tat es für Deutschland

Martin Sonneborn lehnte an der Theke des Theatersaales der Mensa und plauderte mit einem der Veranstalter vom AStA der TH, derweil sich die Stuhlreihen füllten. Er würde aus seinem Buch „Ich tat es für Deutschland“ lesen, in dem er beschrieben hat, wie er als Chef des Satiremagazins Titanic die Fußball-WM nach Deutschland holte.

=> Man erinnert sich an das Jahr 2000. Deutschland und Südafrika hatten sich um die Austragung der WM beworben und lagen Kopf an Kopf. Eine Kampfabstimmung stand bevor, und alles hing davon ab, wie sich das neuseeländische FIFA-Mitglied Charles Dempsey bei der Stimmabgabe verhalten würde.

Am Abend vor der entscheidenden Abstimmung setzte Sonneborn in Bierlaune ein Fax auf und schickte es an das Züricher Hotel, in dem Charles Dempsey logierte. Dann rief er bei der Rezeption an und bat darum, Dempsey das Fax trotz der späten Stunde noch zuzustellen. Die freundliche Dame von der Rezeption steckte es in einen Briefumschlag und schob es Dempsey unter der Tür durch.

=> “This fax broke my neck!“, soll Dempsey später gesagt haben. Die ganze Nacht hatte sein Telefon nicht stillgestanden. Sogar Nelson Mandela hatte in der Nacht noch angerufen und insistiert, Dempsey solle für Südafrika stimmen. Dempsey fühlte sich in die Enge gedrängt, denn er war ein ehrlicher Mann, was bei den FIFA-Mitgliedern nicht unbedingt häufig vorkommt. Im Vorfeld der Abstimmung hatte es offenbar Bestechungen und Bestechungsversuche der FIFA-Mitglieder kleiner Staaten gegeben.

In seinem Fax bot Sonneborn dem FIFA-Mitglied Dempsey eine Schwarzwälder Kuckucksuhr und einen Fresskorb mit Bierkrug an, wenn er für Deutschland als Austragungsort stimmen würde.

Am nächsten Tag enthielt sich der verwirrte Dempsey entgegen der Anweisungen seines Heimatverbands der Stimme, und Deutschland wurde in der finalen Auszählung mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika als Austragungsort für die Fußball-WM 2006 gewählt.
Der „Bestechungsversuch“ der Titanic geriet international in die Schlagzeilen. Da das Fax die Kennung der Redaktion hatte, kam man dem Absender rasch auf die Spur. BILD ereiferte sich, schrieb von Betrug, druckte die Telefonnummer der Titanic ab und forderte seine Leser auf, dort anzurufen und zu protestieren. Die vier Redaktionstelefone hätten neun Stunden ununterbrochen geklingelt, sagte Sonneborn. Ein Anrufer war der Meinung, die Titanic-Redakteure gehörten auf den Elektrischen Stuhl. Tonmitschnitte der aufgebrachten Anrufer kann man sich hier anhören: BILDLESER BESCHIMPFEN TITANIC

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„Du bist grau geworden“, sagte Sonneborn.
Das konnte ich nicht leugnen, warf zum Ausgleich aber einen Blick auf seine Stirnglatze.

Wir hatten uns zuletzt vor sieben Jahren auf dem Titanicbuchmessenfest gesehen. Damals war Oliver Schmitt noch Chefredakteur der Titanic, und ich schrieb für die Titanic-Kolumne „Briefe an die Leser“. Ich stand in der Redaktion, als Sonneborn einen Halbrenner herein trug, um damit eine Kiste Goldtaler zum Buchmessenstand zu bringen. Den Karton klemmte er sich zwischen den umgedrehten Rennlenker und machte sich wieder auf den Weg.

Ein Jahr später wurde er Chefredakteur. Inzwischen hat ihn der Essener Poet und langjährige Titanicredakteur Thomas Gsella abgelöst.

Einige seiner Aktionen stellte Sonneborn gestern Abend in Aachen vor. Und natürlich zeigte er auch die Wahlwerbespots der PARTEI, dessen Bundesvorsitzender er inzwischen ist. Diese Spots sind im ZDF und in der ARD gelaufen. Sonneborn gab kuriose Hintergrundinformationen dazu, denn man hatte in Anspielung auf den Schleichwerbungsskandal bei der ARD, Schleichwerbung an einen Billigflieger verkauft und in den Spots dreist für ihn geworben.

=> Während ich dort saß, dachte ich, dass es auch ein mühsames Brot ist, den Verkauf des eigenen Buches mit einer Lesereise anzukurbeln.

Satiriker haben es schwer in Deutschland. Die Studenten im Saal wollten sich amüsieren. Sie waren ein dankbares Publikum. Doch insgesamt tendiert der Deutsche wohl eher zu Comedie und Karnevalsklamauk. Eigentlich versteht der Deutsche nämlich keinen Spaß. Man nimmt alles sehr ernst bei uns. Deshalb findet man im Fernsehen kaum Satiresendungen.

Die Mitternachtsspitzen empfiehlt Traeumer heute.

Ich mache jetzt auch einmal Schleichwerbung und empfehle, etwas für die Hebung der Humorkultur in Deutschland zu tun. Deshalb: Mal wieder TITANIC lesen.

Guten Abend

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