Die Orthographie ist nicht vom Himmel gefallen…

Ja, aber woher kommt sie dann?

Von Beginn der Buchdruckerkunst an haben Drucker und Setzer die Orthographie maßgeblich beeinflusst. Für das Deutsche musste eine Orthographie ja überhaupt erst geschaffen werden. Diese Aufgabe übernehmen zunächst die Buchdrucker. Viele Frühdrucker fügen ihren Büchern Glossare bei, worin sie die von ihnen verwendeten Schreibweisen anderen gegenüberstellen, um den Büchern überregionale Verbreitung und somit einen genügend großen Leserkreis zu erschließen. Gerade in den Anfängen des Buchdrucks gibt es keine scharfe Trennung zwischen Kopf und Hand. Buchdrucker besitzen mit der Technik auch ein Privileg auf die Gestaltung der Orthographie.

Über den Einfluss der Drucker auf die Herausbildung der Schriftsprache schreibt der Germanist Adolf Bach:

„Luther hat bis in die 2. Hälfte der 1520er Jahre hinein keine eigene Korrektur gelesen; sein Wittenberger Drucker H. Lufft ist ihm in seinen eigenen Werken in der Anwendung und genaueren Durchführung der kursächsischen Formen vielfach vorausgegangen. Auch die Manuskripte des Hans Sachs, der im Nürnberger Schriftdialekt dichtete, sind sprachlich altertümlicher als deren Drucke. Auch hier machte der Drucker die Sprache. So begreifen wir Geilers Klage: man kenne sein eigen Buch nicht mehr, wenn es aus der Druckerei komme.“

Besonders im Barock sind Klagen über eigenmächtige Schreibweisen der Drucker häufig. So erging es dem Grammatiker Schottel mit seinem Hauptwerk „Teutsche Sprachkunst“ von 1651. Es gelang ihm nicht, seinen Drucker zu überreden, die von ihm im Text aufgestellten Regeln der Groß- und Kleinschreibung anzuwenden.

Mit zunehmender Alphabetisierung geht die Macht der Drucker zurück, und der Typus des gelehrten Buchdruckers verschwindet.

Der Einfluss der Drucker auf die Orthographie bleibt jedoch bis zum Ende der Bleizeit ungebrochen und findet seinen Ausdruck in der engen Zusammenarbeit zwischen der Dudenredaktion, den Buchdruckereiverbänden und dem Verband der Korrektoren.

Der eigentliche Vorläufer des heutigen Rechtschreibdudens ist der sogenannte Buchdruckerduden. Über dessen Entstehung schreibt Konrad Duden:

„Bald nachdem die auf Grund der Beschlüsse der ‘Orthographischen Konferenz’ vom Juni 1901 veröffentlichten Regelbücher für die neue deutsche Rechtschreibung erschienen waren, hielten im Juni 1902 in Konstanz die Vertreter der Buchdruckereivereine Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ihre regelmäßige Jahresversammlung ab. Bei dieser Gelegenheit sprach man sich einstimmig dafür aus, dass die neue Rechtschreibung für die Buchdrucker große Schwierigkeiten schaffe, indem sie in zahlreichen Fällen zwei Schreibungen als gleichberechtigt zur Verfügung stelle.“ Das aber behindere den Arbeitsprozess und zwinge die Druckereien zu einer eigenen Hausorthographie, was, so Duden weiter, „zu einer buntscheckigen Gestaltung unserer Rechtschreibung führen müsse.“

Mit einer erneut drohenden „buntscheckigen“ Rechtschreibung sah Duden seinen Traum von „der Alleinherrschaft“ seiner Orthographie „in ganz Deutschland“ gefährdet. Auch schuldete er den Verlegern und Druckern Dank, denn ohne deren Unterstützung hätte sich seine Einheitsorthographie nicht durchsetzen können. Deshalb entsprach er dem Wunsch der Buchdruckereiverbände nach einem Wörterbuch, in dem die meisten Doppelformen getilgt waren.

Der erste Buchdruckerduden erschien bereits 1903; seine 9. Ausgabe von 1915 verschmolz mit dem bis dahin parallel erscheinenden Orthographischen Wörterbuch. Der heutige DUDEN war geboren, Konrad Duden selbst am 1. 8. 1911, 82jährig, verstorben.

Hatte im Vorwort des Buchdruckerdudens noch Dudens Mahnung gestanden: „dass die Entscheidung für eine von zwei oder drei durch das amtliche Regelbuch zur Verfügung gestellten Schreibungen keineswegs die nicht gewählten als minderwertig bezeichnen soll“, bewirkte die Festlegung in der Praxis, dass die meisten Doppelformen verschwanden. Die Folge war eine zunehmende Gängelung der Schreibenden, die durch eifrige Schriftsetzer und Korrektoren vorangetrieben wurde.

Über Jahrzehnte hinweg dankten die jeweiligen Dudenredaktionen in ihren Vorworten den Korrektorenverbänden „für die zahlreichen Anregungen, die sich aus dem täglichen Umgang der Korrektoren mit dem Duden ergeben haben.“

1964 klagt der Germanist Weisgerber:

„Dem Buchdruck (…) von orthographischer Toleranz zu predigen, ist ein aussichtsloses Beginnen. Die Drucker sind noch heute auf die Beseitigung der letzten Doppel- und Zweifelsformen aus.“

Weisgerbers Resignation wirft ein Licht auf das Verhältnis der Sprachwissenschaft zur damals amtlichen Orthographie. Dudenredaktion und Druckereiverbände hatten die Rechtschreibung dem ordnenden Zugriff der Sprachwissenschaft entzogen.

Dieser Umstand wird bei den heftigen Diskussionen um die Orthographiereform übersehen. Kaum jemand mag einer Kommission die Berechtigung einräumen, reformierend auf die deutsche Rechtschreibung Einfluss zu nehmen. Das ist verständlich, denn die Schriftsprache gehört allen, die sich ihrer bedienen. Die ständigen Eingriffe der Dudenredaktionen und der zuarbeitenden Korrektoren hat man dagegen fast ein Jahrhundert lang kritik- und klaglos hingenommen.

So ist es nicht ohne Komik, wenn die zum Teil willkürlichen Festschreibungen der Vergangenheit als ureigenster Bestand unserer Schriftsprache gegen jede Reformbemühung verteidigt werden. Nicht zu entschuldigen ist jedoch die dilettantische Weise, in der die jetzige Reform durchgeführt wurde und erst recht nicht zu entschuldigen sind die unsinnigen Regeln der Zusammen- und Getrenntschreibung.

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