Sonntagsbummel Online – Amen sprach Hinrich

=> Wieder einmal habe ich ein mir neues Haus entdeckt. Doch vorher war ich auf dem verschneiten Salvatorberg und hernach auf dem natürlich ebenso verschneiten Lousberg. Die beiden sind wie Höcker eines Kamelrückens, wobei der Salvatorhöcker deutlich kleiner geraten ist. Er wird nicht soviel Wasser speichern können wie sein großer Bruder.

Ich stieg hinauf zur Salvatorkirche und ging hinein. Es war ein seltsames Dämmerlicht darin, denn die Sonne hatte sich hinter eine Wolkenbank verzogen.

Ich war ein wenig unwillig, dass ich in den beiden kleinen Seitenschiffen nicht soviel sehen konnte, obwohl es in dort eigentlich auch nicht viel zu sehen gibt.

=> Im Mittelalter sind die Seitenschiffe der Kirchen generell schlecht beleuchtet gewesen. Und in der Finsternis trieb sich auch der Teufel herum. Er hielt dort einen Sack bereit, in dem er die Silben sammelte, die die Priester und Mönche aus Nachlässigkeit beim Gebet verschluckten.

Doch auch hier konnte Rettung von der Schrift kommen. Dietrich, der erste Abt von St. Evroul (1050-1057) pflegte seinen Mönchen die Geschichte eines leichtsinnigen und sündhaften Klosterbruders zu erzählen, der aber ein fleißiger Schreiber war und einmal freiwillig einen großen Folianten geistlichen Inhalts abgeschrieben hatte. Nachdem er gestorben war, wollte ihn der Teufel holen, doch da brachten Engel das große Buch vor, von dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog. Und siehe – es war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele gestattet, in den Körper zurück zu kehren, damit er auf Erden Buße tun konnte.

Beim Schreiben selbst ging es jedoch nicht immer so fromm zu. Der Paläograph Wattenbach (19.Jh.) hat am Schluss mittelalterlicher Bücher eine Fülle seltsam weltlicher Schreibernachschriften (Kolophone) gefunden:

Mich hat geschiben eynes meysters hant,
Otte von Egere ist her genant.
Im Beyerlant sind ihm schone vrowen bekannt.

Amen sprach Hinrich
Unde legete dy mayt under sich.
(und legte das Mädel unter sich)

Hie hat das puch ein end.
Gott unss sein gnad send.
Darzu Ochsen und Rinder
Und ein schönm frawe on Kinder.

Man muss nachsichtig sein, das Abschreiben war eine mühseleige Angelegenheit; es gibt viele Klagen auf den Buchrändern über Kälte im Skriptorium, kältestarre Finger und vor allem über das Nachlassen des Augenlichts, was erst später mit einer Brille ausgeglichen wurde. Das Wort Brille stammt übrigens von Berryl, einem meergrünen Mineral, das die Eigenschaft der optischen Vergrößerung hat.

=> Dann bummelte ich also noch über den Lousberg, und als ich auf der südwestlichen Seite angelangt war, sah ich einen prächtigen Sonnenuntergang. Das Licht lag in sanftem Orange auf den Baumstämmen und vergoldete auch die Kuppen kleiner Schneehügel.

Unterhalb des Lousbergs bog ich in die Lousbergstraße. Denn mir fiel auf, dass ich dort noch nie gegangen war. In den langen hohen Hausreihen stehen noch alte Patrizierhäuser, in denen gewiss schön wohnen ist. Einige von ihnen gehören Studentenverbindungen. Doch von ihnen vielleicht später einmal. Denn meine Aufmerksamkeit galt einem kleinen Karmeliterkloster, das ich zwischen den Häusern eingeklemmt fand. Es lag ein wenig zurück. Gerade verschwanden zwei Leute in der Klosterkirche. Ich stieg das Kopfsteinpflaster hinauf und öffnete das Portal. Im dunklen Mittelschiff, nahe beim Altar, standen fünf Personen in Jacken und Mänteln. Und sie sangen ein kirchliches Lied vom Blatt. Dabei schauten sie erstaunt zu mir herüber, und ich wandte mich rasch ab, um nicht in den Verdacht zu geraten, mitsingen zu wollen.

Jedenfalls dachte ich auf dem Heimweg, dass man durchaus glauben kann, eine Stadt zu kennen. Doch immer wieder kann man auch Lebenswirklichkeiten finden, von denen man nichts weiß.

=> Wir leben in einer seltsamen Zeit der geschlossenen Gruppen und Zirkel. Viele existieren außerhalb der Medienberichterstattung. Man neigt dazu, sich aus den Medien ausreichend informiert zu glauben über unsere Gesellschaft. Was dort nicht auftaucht, scheint nicht zu existieren. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Internet. Was dort kursiert, ist nicht die Fülle des Lebens. Und es ist nicht viel Aufwand nötig, sich in der eigenen Umgebung den Nachweis dafür zu holen.

Guten Abend

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