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NACHTSCHWÄRMER ONLINE

Met de Nederlandse Spoorwegen naar Kerkrade
Jüngling der Schwarzen Kunst (4)

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Du hast zum Glück eine warme Kapuze. Doch bei dieser Kälte fahren wir besser nicht Draisine. 10 Grad minus. Ja, du hast Recht. Es zieht hier auf dem offenen Bahnsteig von Valkenburg, die gefühlte Kälte ist noch niedriger. Wir warten auf den Zug der Nederlandse Spoorwegen. Er kommt in ein paar Minuten.

Ich mag die Züge der Nederlandse Spoorwegen. Auf der Strecke Maastricht – Valkenburg – Kerkrade – Heerlen sind es blaugelbe Triebwagen. Es sieht toll aus, wenn sie bei Sonnenlicht durch die Hügel des Mergellands sausen. Die meisten Orte liegen im Tal der Geule (hier heißt der Fluss Göhl), und die Gleisstrecke führt an der Flanke des Höhenzugs vorbei.

Doch bei dem kleinen Ort Schin op Geul beginnt die eigentliche Miljoenenlijn. Sie ist für den Kohlentransport vom Bergbaugebiet Kerkrade nach Maastricht gebaut worden. Heute fährt nur noch eine Museumsbahn dort. Eine Dampflokomotive zieht die Waggons.

Einmal war ich mit dem Rad zwischen den Hügeln unterwegs, als ich sie plötzlich pfeifen hörte. Und danach puffte sie ordentlich, weil es den Berg hinauf nach Simpelveld ging. Ich bin dem Geräusch hinterher gefahren. Doch ich war nicht schnell genug. Die Bahn war bereits zwischen steilen Hügeln verschwunden. Ich sah nur noch, wie der Dampf in kleinen Wolken aufstieg.

Wie fühlst du dich heute? Hast du bemerkt, dass heute offizieller Depritag ist? Ich habe es im Blog von Gudschi gelesen. Es gibt eine mathematische Formel, nach der man es ausgerechnet hat. Da dachte ich, verflixt, heute ist Weltdepressionstag, und ich habe es gar nicht gemerkt. Ich muss doch mein Gehirn unbedingt einmal auf Mathematikformel-Tauglichkeit überprüfen lassen. Man will doch schließlich nicht immer abseits stehen. Am Ende machen alle bei so einem Tag mit, und ich bin der Dumme.

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Du wibbelst so unruhig. Ist dir etwa kalt? Es dauert nicht mehr lange, der Zug kommt gleich. Rück einfach näher ran und komm in meinen Windschatten. Ich bin ja deutlich größer als du. Also, ich meine länger gewachsen.

Hast du eine Fahrkarte gezogen? Ich auch nicht. Man kriegt bestimmt kalte Finger, wenn man die Handschuhe auszieht, um den Automaten zu bedienen. Ja, hätten sie jetzt im geheizten Bahnhofsgebäude einen freundlichen Beamten der Nederlandse Spoorwegen hinter einen Fahrkartenschalter gesetzt, würden wir auch Geld rausrücken. Denn wir wüssten, davon bezahlen sie auch sein Gehalt und die Heizung des Bahnhofs.
Doch ihre kalten Automaten können uns heute mal. Wir fahren das kurze Stück schwarz.

Ein Glück, der Zug kommt. Er ist fast leer, wir haben die freie Auswahl.

Magst du dich mit deiner linken emotionalen Seite zu mir setzten? Das ist gut, dann kannst du dir besser vorstellen, was ich dir erzählen werde. Denn ich will dich auf eine Zeitreise mitnehmen, und du erlebst die Dinge wie aus meinem Kopf. Du bist der Jüngling der Schwarzen Kunst. Doch heute erlebst du eine absurde Geschichte.

Du hast einen neuen Gesellen. Er heißt Lutz und ist ein ehemaliger Strafgefangener. Der Alte hat ihn auf Drängen seiner Bewährungshelferin hin eingestellt.

Lutz ist ein großspuriger kräftiger Typ, der auf stämmigen Beinen durchs Leben geht. Sein Gesicht hat etwas Schweinisches. Er ist ohne jede Scham. Bereitwillig erzählt er von seinem kriminellen Werdegang. Als Lehrling hat er die Belegschaftskasse gestohlen. Er war damit bis Amsterdam gekommen. Später hat er sich als Zuhälter versucht. „Zwei Pferdchen“ habe er am Laufen gehabt. Die hätten ihm sogar Liebesbriefe in den Knast geschickt.

Du hörst das gar nicht gern und entschließt dich, Lutz nichts zu glauben. Was wäre das für eine Welt, in der Frauen solchen Typen Liebesbriefe schreiben? Aber Fink, einer der Drucker, der aus demselben Nest wie Lutz stammt, betet ihn an. Andauernd drückt er sich in der Setzerei in eurer Gasse herum und lauscht.

Lutz hat gerade seine erste Lohntüte bekommen, und er lädt dich und Fink zu einem Umtrunk ein. In der Mittagspause geht ihr ins Cappuccino. Ihr setzt euch an einen kleinen runden Tisch, und Lutz läßt Asbach-Cola auffahren. Er führt das große Wort. Das hier ist schon eher seine Welt. Er hat auch einen weiteren Job angenommen, als Discjockey in einer nahen Diskothek.

Plötzlich springt Lutz auf und rennt zur Tür.

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„He Pitter! Komm her, du blöde Sau!“ schreit er in die Fußgängerzone hinaus.
Pitter, der zufällig an den Fenstern des Cafés vorbeigegangen war, kommt herein, in Begleitung eines zweiten. Lutz und Pitter kennen sich aus dem Knast. Sie begrüßen sich lautstark, fallen sich in die Arme und boxen sich zum Spaß. Mehr Asbach-Cola wird geordert. Du armer Jüngling sitzt plötzlich eingeklemmt zwischen zwei schweren Jungs.

Der Kellner holte sich an der Kasse eine Mark und wirft erneut die Musikbox an, wie um das Krakeelen der Knastbrüder zu übertönen, und die Beatles machen sich zum xten Mal auf die „Magical Mystery Tour“.
„Eh, wo warst du denn im Knast?“, fragt dich der eine Knastbruder.
„Ich? Nirgendwo.“
„Ach so.“
Du löst dich schlagartig in Luft auf, denn du kannst nicht mitreden. Derbe Erinnerungen werden hervorgekramt und gehen hin und her, immerzu vor deiner Nase vorbei. Aber dann beeilte Pitter sich, auf die Gegenwart zu kommen und von den glänzenden Aussichten zu erzählen, die er im Moment habe. Ein Bordell in der Nähe Mönchengladbach!

Fink, der Druckergeselle, sitzt mit roten Ohren dabei. Das ist ein Leben! Die Jungen wissen, wie man`s macht! Er ist hingerissen und gießt eifrig Asbach-Cola hinunter.

Was Lutz jetzt so mache, fragt Pitter. Arbeitslos?
„Du Arsch, ich bin Discjockey!“
Und die zwei Typen hier?
„Ach, Scheiße, das sind Kollegen. Im Moment habe ich nebenher noch einen Job in der Druckerei. Ich muss ja erst mal ein bisschen Kohle zusammenkriegen.“

Unruhig beobachtest du die Uhr hinter dem Tresen. Sie zeigt jetzt viertel nach eins. Ihr müsstet schon zurück in der Firma sein.

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Nur schwer kann Lutz sich losreißen. Asbach-Cola trinken und an kühlen Marmortischen sitzen, auf denen das Kondenswasser der Gläser schöne runde Lachen macht, sich wohl geborgen im Kreise der Kumpels zu suhlen, das ist etwas anderes als in der Setzereigasse zu stehen.

Endlich ruft Lutz: „Zahlemann und Söhne! Komm her, du Ittacker!“
Er zieht sein dickes Portemonnaie aus der Gesäßtasche und knallt es auf den Tisch.
Aber nein, Pitter will zahlen. Kommt nicht in Frage! Lutz und Pitter streiten um die Ehre. Am Ende unterliegt Lutz.

Auf dem Rückweg zur Druckerei bricht die Begeisterung aus Fink hervor. Als ihr an einer langen Reihe geparkter Autos vorbeikommt, springt er, von Asbach-Cola beflügelt, auf den Kofferraum eines Wagens, läuft übers Dach und federt von der Motorhaube wieder ab. Lutz schlägt ihm anerkennend die Pratze auf die Schulter. Fink strahlt, als hätte er die höheren Weihen empfangen. Ein König im dreckigen Blaumann.

Lutz wird keine vier Wochen dein Geselle bleiben. Er erbittet sich einen Vorschuss und erscheint montags darauf nicht mehr zur Arbeit.

Monate später siehst du ihn noch einmal in der Wartehalle des neuen Omnibusbahnhofes. Da säuft Lutz mit den Pennern, die immer am Kiosk stehen. Sie lutschen gerade kleine Jägermeisterfläschchen leer.

Als eure Augen sich begegnen, macht Lutz einen Schweinerüssel und prostet dir wortlos zu.

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Sag mal, bist du etwa eingeschlafen?
Ach so, du hast nur die Augen zu, um dir alles besser vorstellen zu können. Weißt du, was ich in Zügen oft ärgerlich finde? Manche sind innen so grell beleuchtet, dass du bei Nacht nicht zum Fenster hinaussehen kannst. Man sieht doch nur Spiegelbilder. Guck mal. Da bist du und da bin ich. Das will ich eigentlich gar nicht sehen. Denn du siehst ja im Spiegel viel schöner aus als ich.

Ob die Konstrukteure der Waggons eigentlich nie selbst Eisenbahn fahren? Das muss doch einem der Herrschaften mal auffallen. Man will doch hinaussehen können. Denn nicht immer hat man solch eine liebenswerte und kluge Begleitung.

Na ja, wir sind gleich in Kerkrade.

Was es mit der Geschichte auf sich hatte? Eigentlich habe ich sie nur so erzählt. Doch sieh mal: Die Schwarze Kunst lag schon in den letzten Zügen, als ich das Handwerk erlernte.
Und der Niedergang einer großen Sache zeigt sich natürlich auch in den Einzelheiten. In der Qualität der Arbeit, die abgesunken ist. In den Menschen, die orientierungslos werden. Im Heranbranden neuer Techniken, die Gewohntes und Bewährtes verdrängen. Und im Verbrechen.

Später einmal habe ich tatsächlich in einer Druckerei gearbeitet, deren Chef nach Feierabend Führerscheine und amtliche Papiere für einen bundesweiten Fälscherring gedruckt hat.

Allerdings muss ich zugeben, dass die Schwarze Kunst auch mit einem Verbrechen begann. Mit einem gemeinen Betrug. Wenn du die Geschichte einmal hören willst, erzähle ich sie dir vielleicht in Kerkrade.

Kirchrodung heißt es auf Deutsch. Und es klingt schon viel beruhigender.

Denn jetzt ruft uns die Nacht. Draußen ist es kalt, und es wartet ein warmes Bett auf dich.

Gute Nacht, meine Lieben

Und vergesst nicht:
Lobe am Abend den Tag

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