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Jünger der Schwarzen Kunst (3)


Ich begrabe die Toten im Alphabet

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Gleich will ich dir was zeigen. Wir zahlen bald und bummeln dann durch die zum Glück ruhigen Vergnügungstraßen zum Bahnhof von Valkenburg. Doch vorher wolltest du noch etwas über die Jünger der Schwarzen Kunst hören, oder?

Es ist etwas Magisches in einem Setzkasten. Du hast körperhafte Buchstaben. Eine Letter soll sein wie die andere, und trotzdem ist eine jede Letter besonders. Wenn du mir jetzt zum Beispiel als mein Geselle sagst, ich solle Trauerbriefe ablegen. Das heißt, ich soll die ausgedruckten Satzformen nehmen und sie in ihre Bestandteile zerlegen, um alles danach gut wegzuräumen, damit man das Material für neue Trauerbriefe benutzen kann, dann fällt es mir zum Schluss auf.

Die ausgedruckten Satzformen sind mit einer roten Kolumnenschnur fest umwickelt, damit sie nicht auseinander fallen. Wenn das nämlich passiert, hat man einen „Eierkuchen“. Den aufzuräumen kostet viel Zeit. Denn auch beim Zerlegen muss man systematisch vorgehen.

Du hast mir eine feine Arbeit gegeben, denn das kann ich schon. Ich schiebe mir fünf ausgedruckte Trauerbriefe auf meinen Arbeitsplatz und nehme die Kolumnenschnüre ab. Zuerst sichere ich die aus Linien gebauten Kreuze, denn sie können bei neuen Trauerbriefen wieder verwendet werden. Gestorben wird schließlich immer. Auch die Fließtexte werden verwahrt. Sie sind sehr formelhaft und variieren kaum.
„Nach langer schwerer Krankheit verstarb heute mein lieber Mann, unser guter Vater, Schwiegervater, Opa und Onkel…“
Es ist mir, als werde in Deutschland nur noch auf diese Weise gestorben, als müsse man zuerst naturgemäß durch die lange schwere Krankheit hindurch wie durch eine schreckliche Ödnis am Ende des irdischen Jammertals.

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Wenn ich die Texte sicher in die Holzwinkelhaken gestellt habe, ziehe ich die Stege heraus, das größere Blindmaterial, und sortiere sie in die Regalfächer. Nun kommen die Namen an die Reihe. Sie sind aus der 20 Punkt dreiviertelfetten Futura gesetzt, das ist die Schriftgröße „Text“.

Ich hole die 20 Punkt Futura aus dem Regal und wuchte sie auf die schräge Abstelle. Alle Schriften von 16 Punkt aufwärts an befinden sich in diesen schmalen Steckkästen, wo sie nach dem Alphabet geordnet aufgereiht sind. Nun sammele ich aus den Trauerbriefen die Namen der Verstorbenen und stelle sie hintereinander auf den Rand des Setzkastens.

KatharinaKochenHerbertKnaufFerdinandOepenHubertineSchiffer

Zuerst ziehe ich ihnen die Vokale heraus und ordnet sie.

KthrinKochenHerbertKnufFerdinndOepenHubertineSchifferaaaaa
KthrinKochnHrbrtKnufFrdinndOpnHubrtinSchiffraaaaaeeeeeeeee
KthrnKochnHrbrtKnufFrdnndOpnHubrtnSchffraaaaaeeeeeeeeeiiii
KthrnKchnHrbrtKnfFrdnndOpnHbrtnSchffraaaaaeeeeeeeeeiiiiouu

Die Vokale werden eingesteckt. Dann zerlege und sortiere ich das Konsonantenskelett:

KthrnKchnHrbrtKnfFrdnndOpnHbrtnSchffr
KthrKchHrbrtKfFrddOpHbrtSchffrnnnnnnn
KthKchHbtKfFddOpHbtSchffrrrrrrnnnnnnn
KhKchHbKfFddOpHbSchffrrrrrrnnnnnnnttt
KKcHKfFddOpHScffrrrrrrnnnnnnntttbbhhh
KKcHKFddOpHScfffrrrrrrnnnnnnntttbbhhh
KKHKFOpHSccfffrrrrrrnnnnnnntttbbhhhdd
KKKFOpHHSccfffrrrrrrnnnnnnntttbbhhhdd

Weg mit den Konsonanten!
Zuletzt kommen die Initialen dran:

KKKFOHHS

Auf diese Weise begrabe ich die Toten im Alphabet. Zufrieden betrachte ich die wohl aufgefüllten Reihen. Jetzt kann man neue Namen setzen und dabei so richtig aus dem Vollen greifen.

Einige der Lettern haben jedoch Kratzer. Achtlose Setzer haben sie einmal mit der Pinzette herausgezogen, sind abgerutscht und haben das Gesicht des Buchstabens zerstört. Ein solcher Buchstabe ist keine Type, sondern er ist ein Charakter, denn er hat Lebensspuren im Gesicht.
Weißt du, was ich meine?

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Ein solcher Buchstabe fällt immer auf. Du denkst, was bildet der sich denn ein? Er soll doch dem flüssigen Lesen dienen wie die anderen und uns nicht ansprechen, nach dem Motto: Guck, das bin ich!

Den witzigsten Fall eines individuellen Buchstaben habe ich einmal in einem Leipogramm gesehen.
Weißt du, was das ist?

Es ist ein Text, in dem ein bestimmter Buchstabe absichtlich fehlt. Ein Roman ohne „e“ zum Beispiel ist ein Leipogramm.
„Anton Voyls Fortgang“ von Georges Perec, kennst du diesen Roman?
Es ist ein Roman ohne „e“. Ich besitze eine Ausgabe davon, aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé. Er hatte es schwerer als Perec. Denn im Deutschen ist das „e“ häufiger als im Französischen. Und er musste sich an die Textvorgaben halten, während Perec ja nach Belieben geschrieben hat.

Jedenfalls, – ach da kommt der Kellner!
„Ik zou graag betalen, alstublieft!“

Nee, lass stecken, ich lade dich ein. Du hast mir so schön zugehört, das muss belohnt werden.

Jedenfalls, – „ja, stimmt so, bedankt!“ – in diesem Roman ohne „e“, den ich besitze, hat der schusselige Korrektor ein „e“ übersehen. Und dieses einsame „e“ in diesem Universum aus Buchstaben, hat etwas verflucht Individuelles, du kannst es dir vorstellen.

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Hast du das gemerkt? Der Kellner wollte nicht, dass ich Niederländisch spreche. Sie wollen sich ihre Sprache einfach nicht rauben lassen. Nein, ich war zum Schluss nicht unfreundlich zu ihm.

Wir gehen jetzt durch das Maul des Totenschädels. Es ist gruselig, nicht wahr. Doch du hast ja mich an deiner Seite. Ich kenne mich aus, denn ich habe schon Tote im Alphabet begraben.
Es ist eigentlich ein hübsches Stadttor. Wie aus einem Faller-Katalog, findest du nicht? Und genauso ist auch der Bahnhof. Wirklich ein Schmuckstück aus Mergelstein.

Maßstab 1:1, sag mal, gibt es das? Eine Landkarte im Maßstab 1:1, wenn du sie entfaltest, liegt ganz Valkenburg darunter. Das wäre doch lustig oder? Ich habe ja ein Luftbild von google earth in mein blog gestellt, hast du vielleicht gesehen. Ich brauchte eine Weile, mich zu orientieren, denn aus dem Weltall sieht Valkenburg seltsam aus. Deine Stadt habe ich mir ja auch schon so angesehen. Doch das Leben, das Leiden und die Lust der Menschen kann man sich irgendwie nicht vorstellen. So viele Schicksale, von denen man nichts weiß. Doch hört man dann etwas Genaues über jemanden, dann entfaltet sich die Karte und du hast den Maßstab 1:1, ungefähr jedenfalls.

Bin heute ein wenig nachdenklich. Kümmere dich nicht darum. Wie gefällt dir eigentlich das Zentrum? Kaum vorstellbar, welch ein Rummel hier im Sommer ist.

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Guck, da ist das Rathaus. Es ist auch aus Mergelstein errichtet. Und jeder Depp, der schon einmal hier war, hat seinen Namen und das Datum eingeritzt. Sieh mal, die Mauern sind völlig davon übersäht!

Doch ich muss dir gestehen, dass sich am Valkenburger Bahnhofsgebäude der Vertippdepp neben dir auch einst verewigt hat.

Als junger Mann war ich hier. Das Leben lag noch unentfaltet vor mir. Ich hatte nur einen Schlafsack bei mir und habe in der Nacht bei irgendwelchen Holländern im Zelt geschlafen. Meine Füße waren die Nacht über draußen, denn das Zelt war viel zu klein. Maar ik was dronken, denn als wir zum Zeltplatz gingen, hat einer mit einer Flasche und einem Schnapsglas an jeder Straßenlaterne einen Genever ausgeteilt. Anschließend wurde die Laterne mit einem Tritt gegen den Mast ausgetreten.

Ich sage mir und dir das nur, weil man später dazu neigt, die Jugendlichen zu verdammen. Doch wir waren ja auch nicht ohne.

Jedenfalls finde ich meine Ich-war-hier-Marke am Bahnhof nicht. Oder siehst du sie? Es ist ein seltsames Gefühl, dass ich nach so vielen Jahren an diese Stelle zurückgekehrt bin. Und du an meiner Seite. Wir haben keine Ahnung voneinander gehabt. Jetzt stehen wir hier einfach beieinander. Und mir scheint, ein neuer Lebensabschnitt beginnt wieder genau hier.

Eigentlich wollte ich dir ja von der Miljoenenline erzählen, die hier vorbeiführt. Es ist die Strecke, die wir bald zusammen fahren werden.
Königin Juliana hat sie erbauen lassen. Und sie hat damals genau eine Million Gulden gekostet, – also nicht die Königin, sondern die Gleisstrecke.

Königinnen sind teurer.

So wie du mir auch teuer bist. Doch es bedeutet lieb und wert, es geht nicht um Kohle, Schotter, Asche, Pinunzen und den ganzen Schrott.

Für heute habe ich dir genug erzählt. Der Text ist erneut zu lang geraten. Gibt es denn keinen, der mich mal bremst?

Mach du es doch demnächst. Ich gebe dir als Vorschuss einen züchtigen Gute-Nacht-Kuss.

Gute Nacht, meine Lieben!

Lobe am Abend den Tag!

(… und deine liebe Frau, wenn du eine hast, bzw. wenn du eine Frau bist, lobe deinen lieben Mann. Geht es dir so wie mir, dann klopfe dir wenigstens mal selbst auf die Schulter. Das tut es auch. Ist nur nicht ganz so schön.)

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