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Jünger der Schwarzen Kunst (2)


Arschgespann, Jungfrauen und Hurenkinder

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Schon sitzen wir wieder hier – oder noch? Man kommt ganz durcheinander. Na ja, eben hat es ein bisschen gefisselt. Das war gestern nicht, oder? Wir sollten noch etwas bestellen, denn du weißt doch, wenn ich erst mal ins Erzählen komme, brauchen wir beide Flüssigkeit. Ja, klar, ich muss nicht nur flüssig erzählen, du musst auch flüssig lesen. Wenn du buchstabieren müsstest, dann würde es dauern.

Wusstest du eigentlich, dass man bis ins Mittelalter hinein in den Skriptorien der Klöster ein ständiges Murmeln hörte? Es klingt seltsam, doch die Mönche des Mittelalters lasen sich die Texte leise buchstabierend selbst vor. Das leise Lesen, wie wir es anwenden, war zu dieser Zeit nicht üblich. Man kannte es eigentlich nicht.

Warum? Eigentlich hat es zwei Gründe. Du weißt doch, dass unser Schriftsystem eine Lautschrift ist. Das bedeutet, sie bildet den Laut mittels vereinbarter Zeichen ab. Bei einer Bilderschrift ist es anders. Sie zeigt in vereinfachter Form ein Abbild des Gegenstandes oder der Sache.
Wenn du das Wort „Aschenbecher“ liest, sieht es ja nicht aus wie ein Aschenbecher.

Komm mal näher, ich flüstere dir was: Das Grün des Porzellans finde ich toll, und es sieh mal, da sind die Buchstaben von „Brands Bier“ eingeprägt. Den würde ich verflixt noch mal gern mitgehen lassen. So nach dem Motto: „Komm mit, du frierst!“

Nein, das mache ich nicht, war doch nur Spaß.

Also, die Mönche, warum lasen sie laut? Ja, eine Schrift muss ertönen. Sie ist ja eigentlich das tonlose Wort. Man muss es wieder zum Klingen bringen, indem man es ausspricht. Ist einleuchtend, oder? Ein Gedicht zum Beispiel, man muss es laut aufsagen, um Versmaß und Rhythmus besser zu erkennen. Erst dann entfaltet sich auch der Zauber der Poesie. Wenn es tönt, denn der Dichter hat doch in Klängen gedacht. Wenn’s ein guter Dichter war und kein Papiertiger. Es gibt ja auch viele, die nur Papierdeutsch schreiben. Diese Aktenfuchser der Sprache sind schrecklich, oder?

Beim Notar zum Beispiel und ich glaube auch beim Standesamt, muss das geschriebene Wort noch immer tönen, damit es rechtsgültig wird. Und in der katholischen Kirche muss der Hirtenbrief von der Kanzel verlesen werden. Den kannst du nicht einfach als Fotokopie mit nach Hause nehmen.

Also, das war der … sag mal, hast du ein Feuerzeug? …

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Ich habe meines in meine rechte Jackentasche gesteckt? Danke, du kennst dich mit meinen Sachen besser aus als ich.

Also, wenn du dir jemanden besser vorstellen willst, den du nur vom Schriftverkehr kennt, musst du mal einen seiner Texte laut lesen. Dann spürst du dich in diesen Menschen ein. Du hörst, wie er tönt. Und wenn er dann wie ein Aktenfuchser tönt, na, von dem würde ich die Finger weglassen.

Ich kenne zur Zeit keinen, von dem ich das sage würde. Solche Texte lese ich überhaupt nicht.

Ja, also, der erste Grund für das murmelnde Lesen der Mönche war, dass das Wort tönen muss. Und man sprach es nicht einfach laut, weil es ja oft das Wort Gottes war. Der Mensch darf es nur raunen, er ist zu klein.

Der zweite Grund ist einfach. Die Texte der Antike und des frühen Mittelalters hatten keinen Wortzwischenraum. Man hatte immer die ganze Zeile als einen Textblock vor Augen. Guck, ich schreibe es dir mal auf den Bierdeckel:
Esssahsoausunddumusstzugebenesistschwerzulesendabeiistesnochnichteinmallatein.

Deshalb buchstabierten sie laut.

Der Wortabstand wurde erst eingeführt, um irische Bauern zu Missionaren auszubilden. Es waren ungebildete Kerle. Sie kamen nicht gut mit dem Lesen der lateinischen Texte zurecht. „Ideotae“, nannte man sie. Für die Idioten hat man also den Wortzwischenraum erfunden. Und seither liest man leise und erkennt mit den Augen Wortbilder.

Stell dir vor, wir zwei sind ein Arschgespann!

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„Arschgespann“, das Wortbild war dir noch nicht so bekannt. Du hast gestutzt, stimmt’s?
Und „Arsch“, das sagt man doch nicht. Man benutzt ein feineres Wort, ein verhüllendes wie „Gesäߓ.
Also, stell dir vor, wir zwei sind ein Gesäßgespann.
Jetzt lachst du, siehste, das kommt davon.
Hör mal, „Arsch“ ist früher einmal ein feines verhüllendes Wort gewesen. Es bedeutet: Das Herausragende, und daran ist doch nichts Schlimmes.

Wir beide stehen also in einer Gasse der Schriftsetzerei. Wir stehen mit dem Hintern zueinander, deshalb bilden wir ein Arschgespann. Du bist jetzt mal mein Geselle. Und du zeigst mir, deinem Lehrling, wie man setzt. Du stehst vor deinem Setzkasten, den du schräg vor dir aufgestellt hast, in der linken Hand hast du den Winkelhaken, und mit der rechten Hand greifst du der Reihe nach die gewünschten Letter aus ihren Fächern. Die stellst du dann sorgfältig in den Winkelhaken, und damit sie nicht umkippen, hältst du den linken Daumen drauf. Direkt vor dir hast du das große Fach mit den Wortzwischenräumen. Da musst du oft hineingreifen, darum ist es ziemlich voll.

„Was denkst du“, fragst du mich, „welche Fächer ebenfalls stets gut gefüllt sein müssen?“

Ich überlege und sage, hm, vielleicht das „e“.

„Gut“, sagst du, „darum liegt es auch direkt neben dem Wortzwischenraum. Und genau darüber liegt der zweithäufigste Buchstabe der deutschen Sprache. Na, welcher Buchstabe ist es?“, fragst du mich.

Und ich überlege und überlege, doch ich komme nicht darauf. Ich habe ja noch nicht soviel über Sprache nachgedacht wie du. Doch ich bin findig, denn das habe ich mir schon von dir abgeguckt. Auf meiner Tastatur kann ich es sehen. Der zweithäufigste Buchstabe ist nämlich auf meinen Tasten am stärksten abgenutzt.

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„Na klar“, sage ich, das „n“!

Das hast du Pech gehabt, was? Jetzt musst du mich loben, denn ich habe Recht. Du bist eigentlich ein guter Geselle. Man lernt was bei dir, wenn du auch deine Mucken hast. Also, die Sache mit den Bleiläusen, die du mir gezeigt hast, war nicht nett. Jetzt guck nicht so erstaunt und scheinheilig. Hast du nicht auf deinem Setzschiff aus Bleistegen ein kleines viereckiges Hafenbecken angelegt mit Wasser darin und ein bisschen Bleidreck oben drauf? Ja, und dann hast du gesagt, da schwimmen Bleiläuse. Und als ich nah genug mit der Nase daran war, hast du den einen Steg rasch nach unten gezogen, und mir ist das ganze Wasser ins Gesicht geschwappt.
So, und das sollten also die Bleiläuse gewesen sein? Das warst du!

Gut, man nennt es Hänseln oder so, es gibt noch einen Fachausdruck dafür, doch er fällt mir nicht ein. Jedenfalls ist es Tradition, die Lehrlinge ein bisschen zu triezen. Doch sag mal, konntest du nicht bei mir ein bisschen weniger traditionell sein? So aus reiner Freundschaft?

Ja, O.K., wir fallen wieder aus der Rolle. Wir sind kein Arschgespann mehr, sondern sitzen hier gemütlich vor dem Café in Valkenburg und zwitschern uns einen. Es ist eigentlich ruhig auf der Straße, findest du nicht. Und die Nacht wird noch schön, das liegt in der Luft.
Du hast doch Zeit, oder? Komm, einen trinken wir noch.

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Wwwarrumm isch sokommmisch rrrredee? Ich glaube, ich habbb von dem Starkbier, das ich getrunken hhhab sssschon Zzzzzungenlähmung.

War nur Spaß. Wie fühlst du dich eigentlich? Bist du schon müde oder könntest du mit mir noch durch die ganze Nacht schwärmen. Irgendwas Schönes tun und das bis in den Morgen hinein. An was denkst du denn da? Ich sehe dich griemeln. So etwas gibt es bei mir nicht, dass du es weißt. Glaubst du, ich bin ein Mann für eine Nacht? Mit solchen Dingen gebe ich mich nicht ab. Es muss ja leidenschaftlich sein, findest du nicht? So mit Hingabe und Inbrunst und so weiter, dass einem das Blech wegfliegt. Du kennst es.

Tut mir leid, es kommt aus dem Bier. Ich selbst bin völlig unschuldig.
Du meinst, ich soll noch mehr trinken? Nicht? Ach so, dann habe ich dich falsch verstanden. Mein Hören war vom Wunschdenken beeinflusst.

Dann sagen wir uns am besten für heute gute Nacht.
Ein ander Mal ist ja auch noch ein Tag.
Doch ich würde dich wirklich gern bald wieder sehen, und wenn du Lust hast, … erzähle ich dir noch etwas von den Jüngern der Schwarzen Kunst.

Wusstest du eigentlich, dass ich mal ein kleines Dorf wie ein Buch ausgelesen habe?

Erzähle ich mal bei Gelegenheit.

Gute Nacht, meine Lieben.

Lobe am Abend den Tag
(deinetwegen war er ganz schön bei mir)

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