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NACHTSCHWÄRMER ONLINE

Jünger der Schwarzen Kunst

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Wir nehmen die Stufen zum Westen des Städtchens. Wie gefällt dir die Nachtluft? Es ist angenehmer als gestern, finde ich auch. Die ganze Zeit überlege ich schon, was ich dir zuerst zeige. Der Ort ist ja nicht groß, allenfalls eine Kleinstadt. Doch im Sommer ist hier der Bär gebacken. Dann machen all die Niederländer hier Urlaub, die keine Lust hatten, mit dem Wahnwagen durch Europa zu … nein, das ist ein Vorurteil. War nur Spaß.

Zur Zeit ist es hier eher ruhig. Damit du weißt, was dich im Zentrum hinter dem kleinen Stadttor erwartet: Stell dir zwei Straßen vor, die T-förmig zueinander liegen. Entlang der Straßen links und rechts in abwechselnder Folge: Café, Spielhölle, Andenkenladen (wo es natürlich die Elefantenrüsselslips gibt, von denen ich einmal im „Abendbummel erzählt habe; Thema: Angela Merkel und Ehemann), also Souvenirläden, Klamottenladen, Kippenbraterei und Frittenbuden, dann wieder ein Cafe und das ganze noch mal von vorne, diesmal anders herum. Und ein Gewühle auf den engen Straßen wie auf der Hohe Straße in Köln, falls du da schon mal warst. Vor den Cafés stehen natürlich Tische und Stühle. Du siehst sie aber kaum wegen der vielen Menschen, die dort sitzen, Unmengen essen und saufen. Dabei sind alle tatsächlich bestens gelaunt, abgesehen von den jungen Familien, für die der Trubel eigentlich frustrierend ist, weil Papa lieber mit Freunden ein Pilsje oder 20 kippen würde, Mama in den Klamottenladen will und die Kinder, die im Bollerwagen sitzen, den Papa missmutig zieht, die wollen natürlich in die zur Straße offene Spielhölle, in der es blinkt und wummert.

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Du hast übrigens eine süße Stimme, weißt du das eigentlich? Wenn ich dich jetzt gar nicht sehen würde, so wie gestern in der Fluwelengrot zum Beispiel, dann wäre ich trotzdem hin und weg.

Zum Glück wummert dort drüben nichts aus der Spielhölle und zerstört mir die Musik.

Das Stadttor ist recht klein, findest du nicht? Und es duckt sich so zwischen die Häuser. Eigentlich sieht es wie ein Totenschädel aus. Man läuft durchs Maul. Die meisten sehen das nicht, denn die Nase des Totenschädels ist eine kleine Höhlung, in der eine Mutter-Gottes-Figur steht. Kurios, oder?

Willst du schon durch das schreckliche Maul, um dir die Läden und Cafés anzusehen? Oder setzt du dich mit mir vor das Café auf der Ecke? Gut, dann machen wir es wie die Holländer, sitzen gemütlich und gucken uns den Autoverkehr an. Er ist ja spärlich heute Abend. Sie fahren dort den Berg hinauf Richtung Maastricht. Es ist der Kauwberg, ziemlich steil. Viele Radrennen enden oben auf der Höhe zwischen den Apfelplantagen. Die Tour de France war vor ein paar Jahren auch schon hier. Sie kommen dann von dort hinten herabgeschossen, da am Eingang der Fluwelengrot vorbei, biegen hier an der Ecke links ein und bolzen dann den Kauwberg hoch. So etwas ist schwer zu fahren, der rasche Rhythmuswechsel von bergab und bergan, du weißt schon.

Wo magst du sitzen? – Dort rechts in der Mitte? O. K. Ich rücke mal die Korbstühle zurecht, damit durchkommst bei dieser engen Bestuhlung. Wir sind bisher wohl die einzigen, die heute den Autoverkehr bewachen.

Wusstest du eigentlich, dass ich ein Jünger der schwarzen Kunst bin?

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Pass auf, wenn der Kellner gleich kommt. Ich hab noch nicht Luft geholt, da spricht der schon Deutsch mit mir. Die riechen sofort, dass wir beide keine Niederländer sind. Ja, klar, auch dir sehen sie es sofort an. Doch wenn du was sagst, wird er gucken. Man erwartet hier Rheinländer, Leute aus Köln oder Aachen.

Die Leute in Valkenburg sprechen einen starken Dialekt, Limburgisch, du weißt schon. Es ist für einen, der Hochniederländisch redet, schwer zu verstehen. Doch noch extremer finde ich das Maastrichter Platt. Trotzdem würde ich gern dort wohnen. Die Maastrichter sind irgendwie feine Leute. Ich glaube, es liegt am Fluss. Ein Fluss macht die Menschen tolerant, denn der Fluss ist schon immer ein wichtiger Kommunikationsweg gewesen.

Du lebst nicht zufällig an einem Fluss? Ich weiß ja nicht wirklich viel von dir.
Ach so, Jünger der Schwarzen Kunst: Die Kopflampen hier unter der großen Markise. Man bekommt heiße Wangen, eine heiße Stirn, doch friert sich den Arm ab (… gerade noch mal die Kurve gekriegt, ich muss mich mehr unter Kontrolle halten …).
Also, ich war in jungen Jahren, du hast doch das Foto von mir als Jüngling gesehen, zu dieser Zeit war ich Schriftsetzerlehrling. Und die Setzer und Drucker nannten sich früher: „Jünger der schwarzen Kunst“. Wegen der Druckerschwärze, nicht wegen Johannes Faust, der ja mit dem Teufel im Bund war und Gutenbergs Erfindung gestohlen hat. Man bekommt auch schwarze Fingerkuppen, wenn man die Bleilettern aus den Fächern des Setzkastens nimmt.
Ja, und ich habe bis zu meinem Studium als Schriftsetzer gearbeitet. Danach verschwand der Beruf, doch es ist nicht meine Schuld, hörst du?!

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Jedenfalls habe ich zuletzt in einer Aachener Druckerei gearbeitet, da hingen über den Setzregalen genau solche Kopflampen. Es war übel, sage ich dir, ich hatte im Winter eine heiße Birne und kalte Füße. Doch später konnte ich mir genau an dieser Stelle die Füße heiß tanzen, wenn du so willst. Denn heute ist in den Räumen der Druckerei ein studentisches Tanzcafé, und genau, wo meine Setzkästen gestanden haben, ist jetzt die Tanzfläche.
Kopflampen gibt es dort nicht, eher diese Discoscheinwerfer, sie geben ja auch Hitze ab.

Es war eigentlich eine schöne Arbeit. Man gibt dem Wort Gewicht, denn so eine Bleisatzform ist schwer. Und ich war natürlich kein Vertippdepp wie heute. Daneben gegriffen habe ich nie, wenn ich die Lettern im Winkelhaken aufreihte. Fehler machst du nur, wenn Lettern im falschen Fach liegen und du merkst es nicht. Dann sagt man, der Kasten ist verfischt. Falsch abgelegt, irgendein Schussel hat es getan. Manchmal war man es natürlich selbst.

Mit der Hand zu setzen geht langsam, obwohl die Fächer der Kleinbuchstaben nach Häufigkeit geordnet sind. Du hast die Fächer, aus denen du häufig greifst, genau vorm Bauch.
Ja, und diese Langsamkeit des Setzens, die lässt dich überlegen. Du liest das Manuskript, reihst danach die Lettern auf und denkst über den Text nach. Das war meine eigentliche Schule, weißt du?

Die Setzer und Drucker waren früher ohnehin allesamt gebildete Leute. Sie wussten etwas über Sprache und gute Form, denn es war ihr Handwerkszeug.

Abraham Lincoln ist auch ehedem Schriftsetzer gewesen, wie Benjamin Franklin, Mark Twain und so weiter. Lincoln hat diesen schönen Spruch geprägt: „Die Druckerei ist das College des einfachen Mannes.“

Und das bin ich doch, sieh mich an. Ich bin durch und durch ein einfacher Mann.

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Ah, da kommen unsere Getränke, dein Genever und mein Pilsje. Das kippe ich jetzt so weg, denn ich hab mir mal wieder das Maul fusselig geredet. Du musst mich auch manchmal bremsen, damit du auch zu Wort kommst.

Gefällt es dir hier in dieser schönen Nacht? Es ist doch gesellig, oder, wenn ich nur nicht soviel quasseln würde.

Wir trinken in Ruhe aus, sitzen schön, trinken noch einen, und wenn du dann die richtige Bettschwere hast, hören wir für heute einfach hier auf.

Gute Nacht, meine Lieben!

Lobe am Abend den Tag
(Spruchweisheit aus der Edda)

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