Über Spiegel

Hast du dir schon einmal gewünscht, ein schönes Handwerk auszuüben?
Wie wäre es mit Goldschmied?

Na gut, dann bist du jetzt einer.

Ein kleiner Wermutstropfen: Du hast manchmal Ärger. Nicht ohne dein Zutun, denn du bist ein wenig händelsüchtig. Besonders ärgerlich findest du die fortwährenden Auseinandersetzungen mit dem Rathaus. Seitdem die Gilden und Zünfte so stark geworden sind, haben die Stadtpatrizier oft das Nachsehen. Und du stehst leider zwischen den Fronten, denn deine Eltern sind Stadtpatrizier, doch du wolltest ein Handwerk lernen.

Heute Nachmittag hast du jedoch Grund zur Freude, denn du hast gerade zwei Verlobungsringe fertig. Sie sind gut geworden. In die Innenseite hast du einen Spruch eingeschlagen. Du musstest dir dazu neue Punzen machen. Denn der junge Fust wollte einen Spruch in Ogomschrift. Du kennst sie nicht, diese heidnischen Runen, die irgendwo aus Irland oder den schottischen Landen stammen sollen.

Jedenfalls wird der junge Fust zufrieden sein. Denn die Runen zeigen sich scharf und klar im Inneren der Ringe. Ein Glück, denn mit diesem hoffärtigen Mann ist nicht gut Kirschen essen.

Auch der alte Fust ist dir nicht recht geheuer. Du hast dir schon einmal Geld bei ihm geliehen, denn er ist Bankier. Der alte Johannes Fust sieht irgendwie bocksbeinig aus, in seinem schwarzen Kleid, der schwarzen Pumphose und der Kappe, an der eine große Pfauenfeder steckt.

Später, wenn es dich schon nicht mehr gibt, Jahrhunderte lang wird man in dem alten Fust jemanden sehen, der mit dem Teufel im Bunde war. Doch davon weißt du zum Glück nichts.

Dein Blick fällt auf den hölzernen Tisch. Es liegt ein Flugblatt darauf, ein gedruckter Holzschnitt. Du bist gerne unten am Rheinhafen, und dort hast du das Flugblatt von einem der Händler bekommen, die den wilden Rhein mit ihren Lastkähnen befahren. Deine Stadt hat zum Glück schon seit langer Zeit Stapelrecht. Die Schiffe, die vorbeikommen, müssen anlanden und ihre Ware drei Tage zum Verkauf anbieten.

Ja, es sind schon seltsame Vögel diese Rheinschiffer. Sie kommen weit herum, bis in die Niederlande sogar. Dort sollen die Menschen große Windmühlen betreiben, um das Niederland zu entwässern.

Diese Rheinschiffer sind auf dem Rhein immer lange unterwegs. Es gibt viele Städte mit Stapelrecht. Deshalb kommen sie nur langsam voran. Halten sich hier einmal auf, dort einmal auf, und auf diese Weise lernen sie all die fremden Zungen, die man am Rhein entlang spricht. Der dir das Flugblatt gab, ein Holländer, konnte tatsächlich Mäinzerisch.

Es ist schon eine gute Sache so ein schiffbarer Fluss. Es fließen hier auch die Nachrichten schneller. Welch ein Glück, dass du dem Holländer das Flugblatt abluchsen konntest. Es ist der Dom zu Aken darauf zu sehen, und die in Holz geschnittenen lateinischen Buchstaben gefallen dir gut. Sie erinnern an die Architektur der prächtigen Kirchen und Dome, die hochstrebenden Pfeiler, die Spitzbögen, ja, das ist nach deinem Geschmack wie die Form der Buchstaben, die auf deinem Flugblatt eng und hoch beieinander stehen.

Ja, von der Heiligtumsfahrt zur Pfalzkirche nach Aachen hast du schon gehört. Es sollen dort alle sieben oder fünf Jahre, du weißt es nicht genau, Heilige Reliquien gezeigt werden, denen man besondere Kraft zuschreibt. Es sind an die 150.000 Pilger dort gewesen, erzählt das Flugblatt. Und es müssen gar schrecklich Zustände unter den Pilgern geherrscht haben. Sie lagern in ihrer großen Zahl auf den Hügeln, die Aachen umgeben.
Es sollen auch Weibsen darunter gewesen sein, weshalb die Sitten verderbt waren.

Du schnaubst: Ja ist es denn ein Wunder? Wenn es stimmt, was dir das Flugblatt erzählt, dann reisen viele Pilger den gefährlichen Weg nach Aachen, weil sie etwas Schreckliches getan haben. Es sind Mordbuben darunter, solche, die den falschen Eid abgelegt haben, Betrüger und Beutelschneider. Marketenderinnen, Schicksen und anderes übles Volk.

Trotzdem. Die Schilderung des Augenblicks, in dem die Heiligen Reliquien gezeigt wurden, hat dich gepackt. Sie haben dort in einem Turm des Doms vier Kapellen, eine für jede Himmelsrichtung.

Du schaust dir das Bild auf dem Flugblatt an. Anders als die Schrift hat es Rot und Schwarz. Tatsächlich entdeckst du in einer Ecke eine Dirne, die dem Teufel den Bart krault. Du schaust sie dir trotzdem an, denn es regt sich deine Manneskraft.

Hat nicht unser Herr Jesus auch die Dirne Magdalena erhört?

Der Bischof tritt also in die Kapelle, gefolgt von seinen Prälaten, dem Domprobst und weiterem Pfaffenvolk. Dann hebt der Bischof die Heiligtümer und zeigt sie am Fenster. In alle vier Winde hält er sie, und sieht das Volk in der Ferne eine Bewegung am Fenster der Heiligtumskapelle, dann geht ein Raunen über den Hügel.
Sie springen auf und reißen Spiegel hoch. Denn nun fliegt das Bild der Heiligen Reliquien heran. Sie haschen danach mit ihren Spiegeln, dann sind sie geweiht.
Du kannst sehen, wie sie die Spiegel halten. Es ist auf dem Flugblatt gezeigt. Es ist mehr eine Scherbe, denn ein Spiegel, und das lässt dir schon den ganzen Tag keine Ruh. Du bist ein umtriebiger Mann, es drängt dich nach Großem. Du willst etwas sein in der Welt, denn du bist der Sohn eines Stadtpatriziers.
Ja, man schaut neuerdings herab auf den alten Stadtadel. Diese handfesten Männer von den Zünften haben keinen Respekt.

Doch du willst Respekt. Man soll dich ehren. Du bist ein aufrechter Mann, der den Funken in sich spürt.
Was wäre wohl, du würdest Spiegel fertigen? In großer Zahl, du wüsstest schon wie. Du hast schon Versuche angestellt, und wie du es gemacht hast, ist es gut.
Ein solcher Spiegel wäre nicht wohlfeil. Doch viele Pilger würden ihn wollen. Die reichen Prasser, die Beutelschneider, sie alle haben doch Taler und Groschen genug.

Ja, es würde dir einen fetten Gewinn eintragen, wenn du Spiegel für die Heiligtumsfahrt machen würdest. Das Flugblatt ist sechs Jahre zurück datiert. Es hat lange gebraucht, bis es den Weg zu dir fand. Jetzt also müsste es rasch getan werden. Du müsstest sofort mit der Spiegelmacherei beginnen!

Ach, wenn doch nur dein Beutel nicht so leer wäre. Du kannst das Material nicht bezahlen.
Ob der alte Fust zu überzeugen wäre, dir so 100 Taler zu leihen.

Du wirst ihn fragen, er wird es dir auch geben. Doch du fällst herein mit der Spiegelmacherei.
Denn wenn sie alle fein säuberlich in deinen Kisten liegen, bereit für die Fahrt den Rhein hinab, dann leider wirst du aus sicherer Quelle erfahren, dass deine Spiegelei ein ganzes Jahr zu früh fertig wurde. Und der Fust will plötzlich sein Geld zurück. Du kannst ihn leider nicht sofort bezahlen. Du musst eine alte Schuld bei der Stadt einklagen. Schon wieder hast du Händel und Prozess.

Du gewinnst mit einiger Tücke, zahlst den Fust, doch dann musst du vor dem Stadtkämmerer fliehen. Deshalb gehst du nach Straßburg.

Dort hast du erst einmal Ruhe.
Hier wirst du deine „Avontur und Kunst“ erdenken. Du wirst sie ausüben, doch sehr geheim.
Erst wenn du nach Mainz zurückkehren wirst, so um das Jahr 1430, dann wirst du dir vom bocksbeinigen alten Johannes Fust gar einmal 300 Taler leihen. Das ist dein Fehler, denn Fust wird dich bestehlen. Er wird dir alles nehmen, was du erdacht und erfunden hast. Deinen Namen wird man beinahe vergessen, obwohl du der erste bist, der eine Heilige Bibel mit beweglichen Lettern gedruckt hat.

Mit dieser Tat beginnt eine geistige Revolution. Auch Kriege, Leutebetrug und Hexenjagd zettelt sie an.

Irgendwann jedoch wird man dich ehren. Die Stadt Mainz begeht sogar für dich ein Jahr.

Du bist Johannes Gensfleisch zum Gutenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst.

Sie wird genannt werden die Schwarze Kunst. Die bewegliche Letter stammt von dir, du hast sie aus Blei gegossen und eine Press erfunden (na ja, du hast eine alte Weinpresse umgebaut).

Dir, mein Lieber, verdanken wir das wohlfeile Buch, Zeitung, Bildung, Lesen und Schreiben, geistige Freiheit.


Du lichte Schwarze Kunst
Ob Gutenberg ob Faust
War man zu Recht im Zweifel
Denn halb kommst du von Gott
Und halb kommst du vom Teufel

(Grillparzer)

(Wortlaut des Gedichtes aus der Erinnerung. Fortsetzung folgt: Wie Johannes Gutenberg seine Bibel à 42 Zeilen, seine Press und seine buchstap verlor.)

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