Abendbummel Online – Ob denn wohl jemand Interesse hätte,…

…einen einfach dahingeschlenzten Abendbummel zu lesen? Wenn der Autor zu faul ist oder zu müde? Ob einer lesen wollte, wie sich das anfühlt? Wenn man irgendwie schlapp, doch trotzdem heiter ist? Ich habe jetzt bewusst oder freiwillig, einen solchen Text noch nicht gelesen. Wozu soll der gut sein, würde ich mich fragen. Ja, schriebe der Autor mit der Hand, dann wäre es was. Dann wüssten wir ja, er ist eigentlich schlapp. Und trotzdem nimmt er den Stift in die Hand und kritzelt seine Worte auf Papier. Das strengt doch viel mehr an, als würde er nur Tasten tippen.

„Drei Finger schreiben,
doch der ganze Körper arbeitet.“

Das ist ein bekanntes Wort aus dem Mittelalter. Wenn du also wüsstest, ich hätte es mit dem ganzen Körper geschrieben. Würdest du dann jedes Wort sorgsamer lesen. Was meinst du? Doch das hier, ist ja nur aus den Tasten geflutscht. Spürt man den Unterschied? Sind es etwa andere Wörter und Worte? Wenn das Schreiben ungefähr ein Schrittchen hinter dem Denken angeflitzt kommt? Sind diese Texte anders, als die, welche man sich mühsam mit Papier und Bleistift abgerungen hat? Ich will mal zwei Beispiele geben:

1) … ein besonders kulturell Hochwertiges, so dass der Leser bereit ist, sich nach dem Lesen andächtig zu verneigen

Das gibt es nicht, dass du dich verneigst? Und vor mir erst recht nicht, weil ich nur ein Teppichhändler bin? Da kann ich dich beruhigen, du wirst dich nicht vor mir verneigen, sondern vor dem hochgeschätzten und verehrten Johann Wolfgang von Goethe. Dann verneigst du dich? Versprochen? Gut, dann werde ich das Beispiel gleich geben, wie mit besonders geschriebenen Worten auf Material sich ein Zauber entfaltet, dem du dich nicht entziehen kannst. Ich brauche nämlich gerade ein bisschen Zauber in meinem Leben. Es zwackt mich was, und deshalb will ich hier mit Hilfe von Johann Wolfgang von Goethe vor Deinen und meinen Augen etwas zaubern. Machst du mit?

2.) …gebe ich dann ein eher lustig, seltsam-komisches Beispiel. Und das tue ich nur, damit du dich wieder entspannst. Eventuell liest du jedoch dieses Beispiel erst im Nachtschwärmer, falls es ihn gibt. Es hängt nämlich davon ab, ob mein Zauber mit Herrn Goethes Hilfe gelingt oder nicht.

Du weißt noch, worum es geht? Es geht um das Gewicht von Worten und Schrift. Wenn du Material benutzt, haben Wort und Schrift eine höhere Bedeutung als digital, körperlose Schrift. Das will ich dir anhand des Zauberers Goethe beweisen. Alles klar?

Herr Goethe, sind Sie auch bereit?
Dass Herr Goethe hier mit macht, ist etwas Besonderes. Denn Herr Goethe wird heute 82 Jahre. Wir schreiben den 27. August 1831. Man wollte ihn groß feiern, doch den Trubel wollte er nicht. Da hat er gesagt, er will noch einmal auf den Krickelhahn, und weil der Herr Eckermann, der ihn begleiten sollte, jetzt nicht da ist, fahre ich einfach mit.

Wir nehmen zum Berg Krickelhahn im Thüringer Wald eine gutsituierte Kutsche. Man könnte sie fast prächtig nennen. Denn Herr Goethe ist ja schon sehr berühmt. Den lässt man nicht mit einer alten Chaise fahren. Wir fahren hinauf, das ist sehr bequem. Denn Herr Goethe kann nicht mehr so weit laufen. Doch er sagt, als wir dann oben waren: „Das kleine Waldhaus muss hier in der Nähe sein. Ich kann zu Fuß dahin gehen, und die Chaise soll hier so lange warten, bis wir zurückkommen.“

Ich gehe also mit. Wirklich, er schritt rüstig voran durch die auf der Kuppe des Berges hochstehenden Heidelbeersträucher. Ich konnte ihm nur atemlos folgen. Dann fanden wir das Jagdhaus, es besteht aus rohem Zimmerholz. Eine steile Treppe führt hinauf in den ersten Stock, wo Herr Goethe sich an ein Zimmer erinnert.

„Glauben Sie ja nicht, dass ich die Treppe nicht steigen könnte; das geht mir noch sehr recht gut.“

Das hat er wörtlich gesagt. Und es war auch so, trotz seiner 82 Jahre. Oben im Zimmer schaute er sich um und sagte: „Ich habe in früherer Zeit in dieser Stube mit meinem Bedienten im Sommer acht Tage gewohnt und damals einen kleinen Vers hier an die Wand geschrieben, und wenn das Datum darunter geschrieben steht, so haben Sie die Güte und schreiben es mir auf.“

Zum Glück hatte ich einen Stift in der Tasche und auch ein wenig Papier. Ich führe den alten Mann dann an das südliche Fenster der Stube, wo links mit Bleistift etwas geschrieben steht.

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

D.7.September 1780

Herr Goethe bewegt leise die Lippen und liest die wenigen Verse vor, die er „in früherer Zeit“ geschrieben hat. Da fließen Tränen über Herrn Goethes Wangen. Ganz langsam zieht er ein weißes Taschentuch hervor und trocknet die Tränen sich ab. Und dann mit leiser Wehmut sagt er laut: „Ja, warte nur, bald ruhest du auch!“

Ich warf noch einen Blick auf die Verse an der Wand. Herr Goethe hatte sie so schön gesprochen. Da stellte ich mir vor, wie er sich einst geschrieben hatte, als er jung war und übermütig, 51 Jahre zurück! Und nun im Jahre 1831, an seinem 82. Geburtstag, findet der hochgeschätzte große Mann, eine Botschaft mit Bleistift auf Holz vom jungen Johann Wolfgang an den Alten vor. Bald wird er ruhen. Herr Goethe wendet sich um: „Nun wollen wir gehen!“

War Zauber darin, der aus dem Bleistift kam und am Holz blieb? Verneigst du dich?
Welche Sorte Zauber liegt hier vor? Es ist der Zauber der Zeit. Es ist Zeit in jedem Wort, das du mit den Händen formst.
Die Computerbuchstaben dagegen haben in sich keine Zeit. Sie altern nicht, darum waren sie auch niemals jung.
Und wer nicht Fleisch nicht Fisch ist, der ist nichts. Und genau daraus sind diese Buchstaben hier gemacht. Aus so gut wie nichts. Das bisschen, woraus sie gemacht sind, ist eine kleine Illusion. Doch wenn du trotz allem beim Lesen eines Tastaturtextes Zauber entdeckst, wo kommt der her? Aus dem Wort. Denn Wörter und Worte haben Kindheit und Jugend, Erwachsensein und Alter.

Das war’s dann schon.

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