Das Sonntagswort Online

Was wäre eigentlich, ich stelle es mir vor…was wäre, du würdest einmal vom Blitz getroffen?
Du stündest allein auf irgendeinem weiten Feld, kein Haus in der Nähe, kein Baum. Eigentlich ist es ein Hügel. Ziemlich flach, doch dafür weit. Sanft wölbt er sich aus der Landschaft empor.

Und auf der Kuppe stündest du. Es schneit schon eine Weile. Du hast die Orientierung verloren. Die Richtung ist weg und dir ist kalt.

Plötzlich ein Grollen und dann folgt ein Licht. Auch das noch, denkst du, doch du willst es nicht wahrhaben. Es könnte ja auch etwas anderes gewesen sein. Weißt du, was irgendwo in der Nähe ist, das vielleicht ein wenig gegrollt hat? Auch das Licht ist doch eigentlich erfreulich, dann bist du doch in die richtige Richtung gegangen?

Gerade hast du dich mit Licht und Grollen versöhnt, bist weiter getappt, hast gerade einmal für fünf Gramm Mut, da donnert es, dass dein Herz ins Poltern kommt, Schnee wird zu Eis, und der Wind treibt dir Graupelkörner ins Gesicht. Du kannst dich nicht schützen, denn du musst ja vorwärts, du weißt, wenn ich stehen bleibe, bin ich verloren.

Ich will dich erlösen aus dieser Not, und lasse jetzt einfach einen Blitz auf dich zucken.
Er jagt durch dich hindurch, du spürst ihn kaum, doch irgendetwas ist mit dir geschehen. Du siehst noch aus den Augenwinkeln, wie der Boden sich hebt. Die hart gefroren Muttererde klappt hoch und klatscht dir ins Gesicht.
Du bist in Wahrheit zu Boden gestürzt, es war einfach der Sinn des Sehens, der zuletzt in Ohnmacht fiel.

Du wirst wach. Was ist das?
Du schaust an dir hinab und trägst die Uniform eines königlich preußischen Unter-Telegraphisten. Sie ist blau und hat silberne Litzen, denn du bist ja nur der Untertelegraphist.
Der mit den goldenen Litzen steht neben dir. Er neigt sich zur Wand und schaut durch ein Fernglas. Du siehst auf seinen gebeugten Rücken.

Das Fernglas ist in die Außenwand eingelassen, denn jetzt siehst du, ihr beide steht in einem Turm. Der Raum ist ein Rund. An der Wand hängt eine Schwarzwälder Kuckucksuhr.
Wo bin ich hier, denkst du erschrocken. Doch im gleichen Augenblick weißt du es. Denn in der Mitte des Raumes ist ein enges Gestänge. Es hat Hebel und ragt durch die Decke des Turmzimmers und darüber hinaus in den Himmel hinauf.

Das jedoch siehst du nicht. Doch du weißt es genau. Denn wenn du zum Dienst gehst, verlässt du ein Haus am Fuße des Turms. Es ist auch ein Garten dahinter. Es gibt einen Stall und allerlei Kleinvieh. Denn weit und breit steht außer dem kein Haus. Aus diesem Bestand müsst ihr euch selbst verpflegen. Ihr beide habt Frauen, die mit euch dort leben.

Neben der Schwarzwälder Kuckucksuhr mit Schlagwerk hängt an der Wand ein Kalender. Du wirfst einen Blick darauf, denn heute ist Sonntag. Der Sonntagmorgen des 24. Dezembers 1848.

Im folgenden Jahr wird eine Horde aufgebrachter Bürger von Iserlohn heranziehen und den Turm besetzen. Sie werden die gesamte Einrichtung zerstören. Doch an diesem Morgen des 24. Dezembers weißt du das zum Glück noch nicht.
Im Gegenteil, du fühlst dich wohl. Denn obwohl es seit gestern unaufhörlich stürmt und manchmal schneit, habt ihr es warm im Turmzimmer, denn in der Ecke der Turmstube steht auch ein großer eiserner Kaminofen. Er heizt mächtig ein, denn du hast ihn eben noch gefüttert. Natürlich mit Holz, das holst du vom Stapel.

Du wirst jetzt deine Arbeit machen. Es ist Heiligabend ohne Zweifel. Doch arbeiten musst du, denn du bist ja ein königlich preußischer Untertelegraphist. Du musst jetzt acht geben. Dein Vorgesetzter hält auf dem Stehpult ein Logbuch bereit. Irgendwann in den nächsten Minuten, wird er dir rasch eine Kombination zurufen.
„B4!“, wird er rufen. Mach dich gefasst. Denn im selben Augenblick, wenn der Stationsvorsteher ruft, wirst du die richtigen Hebel ziehen. B4, das ist unten ganz links und mit der rechten Hand nimmst du den dritten.

Du schaust dann lustigerweise immer zur Zimmerdecke. Obwohl du nicht sehen kannst, was die Hebel bewirken. Denn du siehst ja nur, dass die dünnen Stangen von B4 sich weiter durch die Zimmerdecke geschoben haben. Dein Vorgesetzter hat dich deshalb schon des öfteren schmunzelnd angesehen. Denn er ist zwar ein strenger preußischer Beamter, doch unter seinem Uniformrock klopft ein gutes Herz.

Warum tut ihr das eigentlich, hat dich deine Frau gefragt, als sie dich gerade frisch geheiratet hat. Du hast gesagt, wir sind die Boten, wir schicken Nachrichten in die Welt. Es heißt „Optische Telegraphie“, was wir machen. Wir stehen in den Diensten des höchsten Mannes dieses Landes. Der preußischen Regierung dienen wir. Der Turm sorgt dafür, dass die Befehle fliegen. Sie kommen aus Berlin und fliegen dank uns durch das ganze Reich.

Du weißt nicht genau, ob deine Frau dich damals verstanden hat. Denn sie ist natürlich noch nie in Berlin gewesen. Und was „Das ganze Reich“ bedeutet, woher soll sie das wissen? Sie ist eine einfache schmucke Frau. Ein Mädchen vom Land, ein bisschen naiv. Doch was es wissen muss, kann es.

Jedenfalls weiß sie auch genau, dass es wichtig ist, dass du jetzt an den Hebeln wartest, obwohl es Sonntag ist und auch noch am Heiligen Abend. Sie ist auch ein bisschen stolz auf dich, dass du derart wichtige Dinge tust. Sie schaut dich auch gerne an, wenn du die schmucke preußische Telegraphisten-Uniform trägst.

Wann kommt denn die Nachricht, denkst du schon zum zehnten Mal. Ist es denn nicht endlich so weit? Denn irgendwann in den nächsten Minuten wird der Obertelegrafist durch sein Fernrohr etwas Wunderbares sehen. Die Nachricht fliegt heran, die Nachricht: B4!
Er sieht sie auf dem fünf Kilometer entfernten Hügel. Dort steht ebenfalls ein preußischer Telegrafenturm. Sein Signalmast ragt hoch in den Himmel. Er hat je fünf lange Signalblätter links und rechts am Mast. Doch wie sich die beiden Signalblätter bei der Nachricht B4 stellen, das weißt du nicht. Du bist ja nur der Untertelegrafisten. Du brauchst das gar nicht zu sehen.
Dein Vorgesetzter weiß Bescheid. Er schaut durch das Fernglas und erkennt B4 sofort. Denn er ist ja schließlich gut ausgebildet.

Wenn er es sieht ruft er es dir zu. Deshalb schaut er alle zwei Minuten einmal gründlich hinaus. Beim heutigen Wetter wird er es etwas schwerer haben als sonst. Doch du bist sicher, er wird B4 erkennen.
Du stellst die Hebel, und dann ist es getan. Ihr beide habt die Nachricht an den nächsten Turm weitergegeben. Dort wartet man auch auf B4. Das kannst du dir ja denken.

Der Stationsvorsteher wird dann B4 ins Logbuch notieren, sich umdrehen und gemessenen Schrittes den Raum durchqueren. Dort vor der Schwarzwälder Kuckucksuhr mit Schlagwerk bleibt er stehen. Er streckt den rechten Zeigefinger aus und dreht die Zeiger auf Berliner Ortszeit. Es ist genau ausgerechnet, doch du verstehst das nicht. Du weißt jedoch genau, was B4 bedeutet. B4 ist sehr wichtig. Denn es bedeutet: „Achtung, es werden die Uhren gestellt!“

Wenn dann eure Nachricht weitergeflogen ist, dann habt ihr verlässliche Berliner Ortszeit auf den Zeigern eurer königlich preußischen Schwarzwälder Schlagwerkuhr.
Überall im Land rund um euch rum, haben sie ihre eigene Ortszeit. Denn sie richten sich nach der Sonne. Das muss schließlich sein. Wer wollte sich denn nach dem Mond richten? Das wäre doch unsinnige Spielerei. Nein, die Kirchturmuhr geht nach der Sonne. Die Uhr des preußischen Königs dagegen die richtet sich nach ihm.

Dafür sorgt ihr als Beamte der königlich-preußischen Telegrafie-Linie, die doch tatsächlich von Potsdam bis Aachen und Koblenz reicht! Unzählige Türme unterwegs, eine stattliche Schar von Telegraphisten: Und zählst du ihre Frauen und Kinder dazu, …

Jedenfalls sind es viele.

Warum jedoch wird der Turm im Juni des Sommers 1849 gestürmt?
Das weißt du nicht. Du kannst ja nicht einfach ins Geschichtsbuch schauen, denn dieser bedauerliche Vorfall ist ja noch gar nicht passiert. Ein Anschlag auf die Telegrafenlinie!
Die Gründe sind einfach, schau einmal nach.

Das war’s schon. Wir sind wieder zurück. Es ist noch nicht Heilig Abend. Es ist vierter Advent. Und ottsche hat gerade einen schönen Gedanken gedacht. Für uns alle. Ich weiß nicht, ob er mir in das Online-Sonntagswort hineingerutscht ist.

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