Vom Sterben, im Hellen betrachtet

„Was soll der Zettel da an Ihrem Rechner?“

„Den habe ich wegen Frau Gudschi drangemacht. Doch sie glaubt es nicht. Sie hatte gestern ängstliche Gedanken, weil ich berichtet hatte, dass ich beinahe überfahren wurde. Da wollte sie einen Notfallplananregen für die Blogger, damit man nicht sinnlos ins Netz hinaushorcht, wenn einer zum Beispiel einen Unfall hatte.“

„Das Teppichhaus ist aber auch schlecht ausgestattet. Wir haben nicht mal eine Digitalkamera. Dann könnten Sie es ihr beweisen.“

„Wir fangen ja gerade erst an, Frau Nettesheim. Ein bisschen Geduld muss man haben. Ich lege den Zettel auf den Scanner. Anschließend klebe ich ihn wieder dran.“

„’…versehentlich gestorben’, so was schreibt man doch nicht, Trithemius. Das Thema Sterben muss man würdevoll behandeln.“

„Ach ja? Welche Würde meinen Sie? Die der Leichenschminker in den Bestattungshäusern? Ich habe mal gelesen, wie sie es machen, damit man nachher im aufgebahrten Sarg schön würdevoll aussieht. Das Maul geht dem Toten auf, er bleckt die Zähne. Darum kleben sie ihm die Zahnreihen zusammen, mit irgendeiner Drecks-Klebepaste. Und weil es oft wegen der Totenstarre nicht mehr geht, den Mund zu schließen, da brechen sie den Leichen die Kiefer. Ich möchte jedenfalls nicht, dass sie mir das Maul zukitten, nicht im Leben, nicht im Tod.

Wissen Sie, Frau Nettesheim, wenn man heiter lebt, geht man auch heiter in den Tod. Ausgenommen bei langem Siechtum und schweren Schmerzen. Dann mag es anders sein. Doch ansonsten nimmt, der heiter lebt, auch heiter das Schwarze Essbesteck in Empfang. Schippert pfeifend über den Jordan ins Nirwana. Ich wollte das schon gestern Abend schreiben. Doch dann dachte ich, na, warte mal lieber bis morgen früh, wenn du festgestellt hast, dass du noch da bist.

Ich halte es mit Epikur. Der hat sinngemäß gesagt:
Der Tod interessiert mich nicht.
Bin ich da, ist der Tod nicht da.
Und ist der Tod da, bin ich nicht da.
Also was soll’s!

Doch vorgestern lag ich schon im Bett und hatte vergessen, meine Tablette zu nehmen, die ich gegen zu hohen Blutdruck brauche. Ich dachte gerade über einen Brief nach, den ich Wursthorst schicken wollte. Da musste ich lachen, denn ich dachte: Stell dir vor, du nimmst die Tablette nicht und nippelst ab heut Nacht. Und das letzte, woran du gedacht hast, ist Wursthorst. Da bin ich noch einmal aufgestanden und habe die Tablette genommen. Nichts gegen dich, tobs – Wursthorst, doch ich hatte an das komische Männchen gedacht, das du oben auf deinem Blog hast. Und du wirst zugeben, dass es schöner wäre, bevor man rübermacht, an zum Beispiel eine aparte Frau zu denken, oder? Wenn man darauf steht, natürlich.

Oder letzte Worte, Frau Nettesheim: Das beste letzte Wort, das ich kenne, das Wort eines aufrechten Mannes mit Witz, das ist vom isländischen Held Gisli übermittelt. Gisli war für vogelfrei erklärt worden vom Thing, wo er nicht genug Männer hatte, die für ihn sprachen. Zwei Jahre wurde er verfolgt und gejagt. Zum Schluss umzingelten sie ihn oben in den Bergen beim Gletscher. Er stand auf einem Felsblock. 24 Stunden, einen Tag und eine Nacht, verteidigte er sich. Als er geschwächt war, weil ihm das Blut aus vielen Wunden tropfte, da hat einer ihm einen Speer in die Brust geschleudert. Und wissen Sie, Frau Nettesheim, was Gisli sagte, bevor er fiel? Er fasste nach dem Speer in seiner Brust und sagte:

Der saß!

Also nochmal: Heiter drin und heiter raus. So will ich leben und sterben.

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